[Epikur] Zwölf Geschichten


Prolog:
Vorwort aus dem "Großen Buch der Schmiedekunst" von Kosen Shojin Ito Masamune:
Unsterblichkeit.
Dieses und kein anderes Ziel habe ich mir gesetzt.
Für immer zu leben, die Welt zu prägen, alle Existenz zu überdauern und sogar den Göttern selbst nahe zu kommen, auf sie zuzutreten und sie sogar zu übertreffen; dieses und kein anderes Ziel verfolge ich mit diesem Buch. Wenn es vollendet ist wird jeder meinen Namen kennen, wird ihn nur mit tiefster Ehrfurcht sprechen, jeder andere Schmied wird in Neid erblassen, wenn er meine Errungenschaften sieht und wann immer ein Schmiedehammer auf einen Amboss niederfährt um Metall zu bearbeiten, so wird man mir gedenken. Auf ewig werden die Bauern meine Sensen schwingen, wann immer sie in ihr Korn gehen, meine Messer wetzen, mit denen sie ihrer Familie das Fleisch schneiden; auf ewig werden die Ritter meine Rüstungen tragen, meine Schwerter schwingen und meine Schilde vor sich tragen, wann immer der Krieg sie ruft; auf ewig werden die Goldschmiede meine Hämmer schwingen, wann immer sie einem König eine Krone fertigen, das Szepter, mit dem sie regieren wird aus meiner Hand stammen und aus meiner Esse wird der goldene Thron stammen, auf dem sie sitzen und ihr weltliches Gericht halten.
Mein Name und meine Werke werden ewig leben, andere werden vergessen sein, wenn meine Nachfolger ihre Werk verrichten, so werde ich bei ihnen sein, mit jedem Schwung des Hammers und jedem Funken der sich von seinem eisernen Bett erhebt, wie eine Blume erblüht und auch genauso schnell wieder vergeht.
Die Zeit mag kommen und gehen, doch ich werde bestehen, auf ewig.
(Jahresdatum) Kosen Shojin Masamune

1. Geschichte: Grünender Baum
Langeweile und Wahnsinn und Genie
Mir ist langweilig.
Wie schon die ganze Woche.
Den ganzen verdammten Monat!
Wann kommt mein Meister endlich wieder? Einen ganzen verdammten Monat lang lässt er mich hier in der Schmiede zurück, mit nichts zu tun, nichts ausser der Esse zu reinigen, Lieferdienste zu erledigen, Aufträge aufzuschreiben und kleinere Werkstücke wie Hufeisen aufzuschlagen oder die neue Schere vom Barbier Monse zu schleifen! So etwas mache ich nun schon seit vier verdammten Jahren! Soll das etwa alles sein, was ich später einmal machen werde? Hufeisen auf Pferde schlagen und Scheren für zweitklassige Barbiere schleifen? Ich werfe ein Hufeisen, das ich eigentlich für das Pferd eines Händlers morgen auf dem Markt fertig machen sollte, gegen die Wand. Es klingt melodisch hell, beinahe wie ein Glocke und ich lasse mich in das mit einem Tuch bedeckte Stroh, in dem mein Meister immer schläft, wenn er es nicht mehr in sein Bett schafft, fallen. Eigentlich hochgefährlich, so nahe einer Esse Stroh aufzubewahren, brennt es doch sehr schnell und sehr leicht, doch meinem Meister ist das egal. So wie ich scheinbar! Ich schnaufe wütend, während neben mir die Esse scheinbar ebenso gelangweilt vor sich hin glüht. Ein Monster, das mit leisem Geräusch gähnt, träge und immer hungrig und aus dessen farbenfrohen Schlund doch mit die besten Meisterwerke kommen, die diese Stadt je gesehen hat. Ach, was red ich, die dieses Land je gesehen hat! Kein Pferd, das nicht meine massangefertigten Hufeisen hier trägt! Der Eisenschuhmacher! Kosen Shojin Ito Masamune, der begabteste Schmied seiner Zeit und ich darf Pferden neue Treter machen! Lächerlich! Ich werfe ein Stück herumliegende Kohle in den Schlund der Bestie, die sich nicht einmal für das Futter bedankt, sondern einfach weiter gähnt, als wäre nichts gewesen. Undankbares Vieh! Ich stehe auf, bemerke aber nicht den Hammer, der vor mir liegt und als ich einen Schritt mache stolpere ich und falle direkt vor die Esse. Der Schlund der Bestie steht weit offen vor mir, ich atme auf, beinahe wäre ich selbst Futter für das Biest geworden. Ich stoße einen beruhigten Seufzer aus und streiche mir die langen, schwarzen Haare aus dem Gesicht. Mein Meister sagt, kein Schmied sollte lange Haare haben. Pah! Ich klopfe mich ab und gehe wieder zurück an meinen Platz. Nach kurzer Zeit wird mir warm, es riecht verbrannt. Ich sehe mich um und merke doch recht spät, dass meine Haare brennen! Ich schreie kurz auf, ohrfeige mich selbst, um das Feuer auszulöschen, sinnlos, es brennt weiter. Es gibt kein Wasser in der Nähe, so rolle ich mich auf dem Boden und versuche es so auszubekommen. Es gelingt mir und ich seufze erleichtert auf. Mit einem lauten Ausruf des Triumphes blicke ich dem Biest in seinen Schlund, nein, heute sollte es mich nicht kriegen! Es reagiert nicht, es glüht nur vor sich hin, selbstsicher, unverschämt und frech.
„ Ist das alles, was du kannst?“ rufe ich ihm entgegen, baue mich vor ihm auf, verspotte es, zeige ihm den Mittelfinger.
„ Heute kriegst du mich nicht! Hörst du? Nicht heute!“ Ich verspotte und provoziere es weiter, ehe mir Rauch in die Nase steigt. Ich halte inne.
„ Oh nein!“ denke ich mir und ein, zwei krackende Kohlestücke simulieren ein kurzes Lachen, ehe ich mich umdrehe und sehe, dass mein Herumgerolle auf dem Boden das Stroh entzündet hat.
„ Nein, nein nein.“ Sage ich hilflos, wie ich dabei zusehe, wie das Stroh verbrennt. Es ist noch kein großes Feuer, doch schon bald wird es das werden und dann würde die ganze Schmiede abbrennen! Mein Meister wird mich töten! In Panik ergreife ich die Kohlenschaufel, wieder krachen zwei Kohlestücke, das Monster lacht mich aus. Ich habe keine Zeit, das Monster zu beachten, wie wild schlage ich auf das Feuer ein, doch das macht es nur noch schlimmer. Wieder lacht das Monster. Hatte es sich seine Lacher bis jetzt aufgehoben! Was sollte ich nur tun? Bald schon würde die ganze Schmiede brennen, dann die Nachbarhäuser, dann die ganze Stadt! Nein, nein, das durfte nicht passieren! Wieder lachte das Monster, lauter und öfter.
„Halt die Klappe! Halt die Klappe!“ rufe ich, doch es hört nicht auf zu lachen, ich verschließe meine Ohren vor dem Monster, während meine Augen vor Feuer nichts anderes mehr wahrnehmen als den brennenden Tod. Das Monster lacht noch immer, lauter, häufiger, ich höre es durch meine verschlossenen Ohren, es lacht und lacht und lacht…
„ HÖR ENDLICH AUF!“ ich drehe mich um und schreie es an, es lacht nicht mehr. Ein einziges, kurzes Krachen und für einen kurzen Moment ist alles ruhig. Ich höre nur noch das leise Glühen im Schlund des Monsters, das sich wieder in eine Esse verwandelt. Meine Augen starren es an, ein Funke fliegt heraus und landet mit einem beinahe unhörbaren Zischen in der Wanne mit dem Wasser, das zum Ablöschen der geschmiedeten Güter benutzt wird. Meine Augen werden weit. Wie konnte ich das nur übersehen! Ich stürme voran, falle beinahe wieder über den Hammer, greife die nicht allzu schwere Wanne und schiebe sie vor das Feuer, das nun beinahe das gesamte Stroh erfasst hatte. Ich hebe die Wanne an, sie ist schwer, doch irgendwie schaffe ich es, das Wasser so auszuschütten, dass es das gesamte Feuer erfasst und es löscht. Rauch steigt auf, ich muss husten und schaffe es mit letzter Kraft noch an das Fenster, reiße es auf und huste mir die Seele aus dem Leib. Erleichterung durchfährt meinen Körper, die Stützbalken sind schwarz vom Ruß, doch es zeigt sich, nach genauer Inspektion, dass nichts ausser dem Stroh in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich lege mich auf den Boden, atme ruhig und führe mir vor Augen, was für ein Glück ich hatte. Ja, was für ein Glück! Dann wird mir schlagartig klar, in was für einem Ärger ich wirklich stecke, findet der Meister heraus, dass ich beinahe seine Hütte abgebrannt hatte! Meine Augen werden groß und ich greife mir rasch die Kohleschaufel und beginne aufzuräumen, hastig und schludrig, doch genug, um zumindest einen sauberen Eindruck zu hinterlassen. Rasch wird die Asche beiseitegefegt, das angekokelte Stroh unter das intakte Stroh geschoben, und neues darüber. Ich vergesse in meiner Eile, dass die Esse langsam ausgeht, das Monster wird stiller es kracht und knackt traurig, als weine es, dass sein Leben bald zuende geht. Ich merke es zunächst nicht, zu sehr sind meine Gedanken daran gelegen, meine Schusseligkeit wiedergutzumachen. Erst nach einigen Minuten merke ich es, die Esse brannte schon sehr lange und war nun beinahe erloschen.
“ Ah, verdammt!“ rufe ich und renne mit der Kohlenschaufel auf das Monster zu, das aus seinen letzen Atemzügen haucht.
“ Geh mir nicht aus, hörst du? Geh ja nicht aus!“ rufe ich ihm zu, während ich es füttere und mit der Luftpumpe anheize. Es keucht und seufzt, doch schließlich brennt und gähnt es wieder, zufrieden und müde sind wir beide nun und ich lasse mich in das neue Stroh fallen, jedoch ohne Tuch. Gut, würde es kratzen, das sollte mir nichts ausmachen. Doch das Stroh kratzte nicht, ich fühlte etwas Hartes und Unnachgiebiges unter mir. Der Boden konnte es nicht sein, das hier war… anders. Metallisch. Und … Eckig. Eine Kiste! Ich wühle im Stroh und tatsächlich ziehe ich eine Kiste unter dem Stroh hervor. Sie musste vorher durch mehr Stroh verdeckt worden sein, doch nun war sie da und greifbar. Es stand nichts auf der Kiste, was mochte wohl darin sein. Ich fahre mir über das bartlose Gesicht, überlege. Vielleicht bewahrte hier der Meister sein Geld auf. Oder Juwelen! Oder, oder Drakonium! Das Volk meines Meisters, die Zwerge, waren Meister auf dem Gebiet der Verarbeitung von Drakonium, da lag es nahe, dass sein Meister etwas von dem kostbaren Metall besaß! Oh, ich musste es sehen! Wann bekam man schon die Gelegenheit dazu? Das letzte Mal hatte ich Drakonium gesehen, da war ein Zwergengeneral durch unsere Stadt gekommen, um mit unserem Fürsten zu sprechen. So herrlich hatte es geleuchtet, dunkel und doch silbrig wie der Mond, in dessen Licht die besten Drakoniumwaffen geschmiedet wurden. Oh, ich konnte nicht widerstehen! Die Kiste war nicht verschlossen, ich hatte sie schnell geöffnet und…
War enttäuscht! Kein Drakonium. Kein mondsilbrig und doch dunkel glänzendes Drakonium, nur ein Stück helles Metall! Ich lasse mich zurückfallen. Was für einen Enttäuschung! Naja, hatte ich vermutlich verdient für meine Neugier. Ich wollte die Kiste schließen, da knisterte das Monster wieder. Ich sah auf, es knisterte wieder, freundlich, als wollte es mir etwas sagen. Ich sehe es an, das helle Metall leuchtet auf. Heller als der Mond, beinahe so hell wie die Sonne und so verführerisch wie Gold. Ich kann meine Augen nicht davon abwenden, es glänzt so schön, angeregt knistert das Monster, ermuntert mich.
„ Nimm es. Nimm es auf!“ ich höre eine Stimme in meinem Kopf, ich bin abwesend, wie im Schlaf greife ich in die Kiste und nehme das Metall an mich. Es fühlt sich leicht und doch schwer an, warm und doch irgendwie kühl, schwebend, wie eine kühle Herbstbrise und doch so behaglich und aufgeklart wie der Frühling nach langem Winter.
„ Frühling“, erklingt die Stimme in meinem Kopf und ich reiße mich aus meinem Schlaf. Jetzt sind nur noch ich und das ruhig atmende und gähnende Monster und das Stück unbekannte Metall in der Schmiede. Ich atme tief ein, ruhig und wärmend liegt es in meiner Hand. Ich stehe auf, ein Impuls durchdringt mich, ich nehme das Metall, begutachte es, lasse es durch meine Hände fahren und lege es in die Esse. Nichts geschieht, ich heize die Esse an, es dauert und dauert, ich treibe die Esse an den Rand ihrer Kapazität, so stark ist der Impuls, der mich ergreift, beherrscht, dieses Metall zu erkunden, kennenzulernen, zu formen und zu sehen, wenn es aus dem Wasser auftaucht. Doch es geschieht nichts. Ich schwitze bestialisch, meine Augen schmerzen, doch ich kann nicht ablassen, ich puste in das Feuer, während ich die Pumpe bediene, doch es geschieht nichts, ich puste und blase und keuche, dann schreie ich bis mein Hals trocken wird und er brennt. Ich huste und eine kleine Flamme springt aus meinem Mund in den Schlund des Monsters. Ein kurzes, aber gewaltiges Aufhauchen, das mich umwirft. Ich bin betäubt, doch nur kurz und als ich wieder aufsehe glüht das Metall und die Glut hat seine Farbe verändert. Sie ist nun nicht mehr blau und rot, nein, sie scheint jede Farbe des Regenbogens angenommen zu haben. Ich starre hinein, bin fasziniert, fasse mir an den Hals. Er tut nicht mehr weh und das Metall glüht freundlich und hell. Meine Augen schmerzen nicht mehr und ich bediene die Pumpe. Das Monster faucht und ich betrachte das Metall, nehme die Zange und drehe es, hin und her, vorsichtig und behutsam. Ich konnte es sehen! Das Meisterwerk! Das, was ich schaffen werde, ich konnte es sehen! Vor mir, so nah wie ich meine Hände vor meinem Gesicht sehen konnte!
Es mussten Tage gewesen sein, die ich unten verbracht hatte, ich war erschöpft, ausgetrocknet und halb verhungert als mein Meister mich fand. Seine Handelskarawane war überfallen worden und er musste sich zuerst aus dem Lager der Räuber befreien und danach noch den langen Weg mit seinen Mitgefangenen durch die Berge suchen, nachdem eine rivalisierende Bande passenderweise mit ihrem Überfall ein Ablenkungsmanöver gestartet hatte und mein Meister, ein Veteran von mehr als 20 Schlachten, sich freigekämpft hatte. Er sah unzufrieden aus, als er mir das erzählte, auch als er mir am nächsten Tag erzählte, dass der Fürst sich nun darum kümmern würde, war er keinen Deut zufriedener. Ich sei abgemagert gewesen, halb tot und den Händler hätte er nun auch als Kunden verloren. Doch sein Gesichtsausdruck hellte sich schlagartig auf, als er auf das Stück Metall sah, das ich bearbeitet hatte. Er hatte sich seine dicken Schmiedehandschuhe angezogen und schien dennoch voller Schmerzen zu sein, als er es mir vor mein Bett legte.
„ Hast du das gemacht?“ fragte er mich, mit Entsetzen und Freude im Gesicht. Ich richtete mich langsam auf, müde warf ich einen Blick hinab. Eine halb fertige, kurze Klinge, sie hatte einen leichten Grünstich, wie der Ast eines Baumes im Frühling. Ich nickte halbherzig, ich konnte mich jedoch kaum noch daran erinnern, das Metall bearbeitet zu haben. Ich wusste ja nicht einmal, was für ein Metall das war. Mein Meister setzte sich in einen Stuhl, nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Horn, das immer voll mit dem starken Zwergenbier aus seiner Heimat war und atmete tief aus. Ich sah ihn perplex an. Er sah auf das Metall, dann zu mir und dann lachte er, lachte laut und fröhlich, so wie er schon lange nicht mehr gelacht hatte, sagte ein paar Worte in der Sprache der Zwerge, zwei davon waren Durgador, der Gott der Zwerge und Auris, der Gott der Elfen, soviel konnte ich verstehen, doch der Rest…
Er kam an mein Bett und sah mich an.
„ Weißt du, was das für ein Metall ist?“ Ich schüttelte den Kopf, er lachte wieder.
„ Du weißt nicht, was es ist und hast es dennoch bearbeiten können? Erzähl mir wie. Lass nichts aus.“ Er goss mir ein Horn von dem Bier ein und ich erzählte ihm alles. Das Bier machte mich schnell betrunken, doch es schmeckte hervorragend. Am Ende der Geschichte dachte ich, würde er wieder wütend werden, doch das wurde er nicht. Stattdessen zeigte er auf das halbfertige Schwert und ich hob es auf. Es war leicht und doch immer noch warm.
„ Das, mein unwissender junger Schüler ist Lunarium.“ Ich sah ihn unverständlich an.
„ Lunarium! Elfenstahl! Das teuerste und edelste aller Metalle! Nur die Elfen können es bearbeiten! Und jetzt auch du! Hahaa!“ Er nahm mich, schüttelte mich vor Freude so hart, dass mein Kopf rumorte. Ich begriff nichts, doch das Metall fühlte sich gut an. Ich nahm meinen Meister nur noch in der Entfernung wahr, doch ich verstand klar und deutlich die Worte, bevor er aus meinem Zimmer ging.
„ Von morgen an werde ich deine Ausbildung verschärfen. Ich werde dir alles beibringen, was ich weiß! Du wirst ein Meisterschmied werden, das schwöre ich bei Durgador!“ Dann schloss er die Türe und ich fiel zurück in mein Bett. Das Metall war warm. Wie der Frühling, der nun auch in unserem Fürstentum angekommen war. Ich sah aus dem Fenster. Ein Eichenbaum stand vor der Schmiede, er trug bereits neue Triebe. Bald schon würde er grünen.

2. Geschichte: Sommerhitze
Neue Abenteuer und alte Geschichten
Er hätte nie gedacht dass er diese Stadt einmal verlassen würde. Nicht nur, um in den Nachbarstädten Metall zu begutachten oder mit den anderen Schmieden um die Wette zu trinken.
Nein, er würde die Welt sehen.
Nicht nur die Welt der Menschen, nein auch die Welt seines Meisters. Die Zwerge waren verteilt in der Welt, schon immer, wenn es nach den Erzählungen meines Meisters ging. Sie hatten Königreiche, Fürstenreiche, Herzogtümer, Theokratien, Aristokratien, Plutokratien gehabt, waren in Clans und Familien organisiert, eng in Verwandtschaften und Bündnissen geknüpft und doch war ein Merkmal immer dasselbe geblieben: Die Freiheit zu wählen. Nicht nur ihren König oder Rat, nein, auch keinem anderen Zwerg als sich selbst untergeordnet zu sein. Viele Zwerge waren nicht zufrieden mit den Entscheidungen ihrer Anführer und verließen ihren Clan, als Söldner, als wandernde Gelehrte, Schmiede, Militärausbilder und auch als Metzger, Bierbrauer und… Henker. Nicht jedes Handwerk war bei ihnen angesehen und bei anderen Völkern noch weniger und doch benötigte jeder König, jeder Rat und jeder Fürst eine Hand die die Gerechtigkeit ausführte, die andere aussprachen. Sein Meister war kein Henker gewesen, doch sein Bruder war es. Einer der Besten, wie er nie müde war zu betonen.
„Baurug Glutseher, der beste Henker, den diese Welt je gesehen hat.“ Sagte er immer und etwas funkelte in seinen Augen. Es war Stolz, Stolz auf das Meisterwerk einer Axt, das sein Bruder schwang, das erkannte Masamune inzwischen sofort im Blick. Sein Meister hatte diesen Blick oft in letzter Zeit gehabt. Seit diesem Zwischenfall mit dem warmen Metall, hatte er ihn so oft, dass er zwischenzeitlich nicht mehr zwischen den glasigen Augen eines Betrunken oder eines stolzen Lehrers unterscheiden konnte. Er nahm es stets als Stolz, auch wenn es Masamune noch nicht ganz klar war, weshalb. Er fuhr sich über sein Gesicht, erste Stoppeln waren darauf zu erkennen und zu fühlen und auch seine Stimme hatte sich geändert. Es war wohl normal, er beobachtete es auch bei anderen Jungen in seiner Stadt, die er nun hinter sich lassen würde. Zumindest für eine Weile.
„ Beweg dich, Kleiner!“ rief ihm sein Meister entgegen, der auf einem Karren saß, der von einem großen Bergwidder gezogen wurde, dem traditionellen Reit- und Lasttier der Zwerge. Alrig war alt, sein Bart war schon recht lang und doch wohnte immer noch Kraft in den vier recht dünn anmaßenden Beinen und dem knöchernen Kopf. Und viel Geduld. Alrig ließ sich von seinem Herrn reiten, von dem ungeschickten Masamune und von den Kindern der Nachbarn, wenn sie ihn mit Zucker und Äpfeln bestachen. Ein treuer Gefährte, der viele Geschichten zu erzählen hätte, wenn er doch nur sprechen könnte. Ein Stück Metall, das ihn am Kopf traf, riss ihn wieder zurück in die Gegenwart.
„ Träumst du oder was? Komm schon, beweg dich, wir haben noch einen langen Weg vor uns.“ Masamune rieb sich den Kopf um die langen, schwarzen Haare und schloss rasch auf, bevor sein Meister auf die Idee kam, mit etwas schwererem nach ihm zu werfen. Mit einem raschen Sprung schwang er sich auf den Karren, der unter dem ganzen Gewicht der Ladung knirschte. Fünfzig Schwerter und Schilde, ein paar Rüstungsteile und etwas Proviant, ein Fass Bier natürlich und die Kiste mit dem seltsamen Metall. Eine Menge Sachen, für eine eigentlich kurze Reise in das nächste Fürstentum. Hier wollte er mir seine Welt zeigen, in seinem Fürstentum gab es keine anderen Zwerge, ein Fakt, der ihm eine gewisse Monopolstellung gab, ihm jedoch auch jede Menge Ärger einbrachte. Nichtmenschen waren nicht unbedingt willkommen hier, nur durch die Fürsprache des Bürgermeisters durfte er hier seine Schmiede eröffnen, die nun mehr oder weniger unbewacht in der Stadt weilte, während sie auf dem Weg waren. Ein Schlag auf den Hinterkopf holte ihn zurück in die Realität.
„ Hör endlich auf, tagzuträumen Kosen. Wir haben einen langen und nicht ungefährlichen Weg vor uns. Letzte Woche wurde hier auf diesem Weg ein Händler überfallen. Halt die Augen offen!“ die Stimme seines Meisters klang ernst. Masamune sah ihn verwirrt an, fasste sich jedoch rasch wieder und starrte in die Weite hinaus, auf der Suche nach Gefahr und Bäumen, die er mit Steinen bewerfen konnte.
Leise klackerten die Räder auf dem gepflasterten Weg dahin, begleitet vom Rascheln der Blätter in den Bäumen. Masamune hielt noch immer Ausschau nach den großen, vielen Gefahren, die auf diesem Weg lauerten, doch bisher war nichts auf dem Weg passiert, außer dass zwei Eichhörnchen versucht hatten auf Alrig zu klettern und von ihm schnell und effektiv abgeschüttelt wurden. Inzwischen waren ihm die Steine ausgegangen und so lag er nun gelangweilt auf seinem Rücken und starrte in den Himmel. Sein Meister hatte inzwischen begonnen, das Bierfass anzustechen und zu trinken. Es brauchte zwar recht viel, um ihn betrunken zu machen, doch es reichten ein paar aus, um ihn in Kurven fahren zu lassen, wenn nicht Alrig stets dagegensteuern würde. Der alte Widder wusste den Weg genau und kannte die Gewohnheiten seines Herren und so setzte er seinen Weg unbeirrt fort. Masamune bekam von dem nichts mit; langsam begann er zu glauben, dass auf diesem Weg nichts passieren würde, dass dieser Weg sehr sicher sei und sein Meister die Geschichte von den Räubern nur erzählt hatte, damit Masamune aufhörte tagzuträumen. Etwas traf sein Gesicht. Masamune blinzelte, richtete sich auf und wischte einen Tropfen von seiner Backe. Ein weiterer traf ihn und noch zwei weitere. Ein erneuter Blick in den Himmel verriet ihm, dass eine Wolkendecke herangezogen war und es nun zu regnen begann. Wie konnte er den Wetterwechsel nur übersehen. Er sah zu seinem Meister, der sich in einen Regenmantel gehüllt hatte. Masamunes Augen wurden groß.
„ Meister, ihr habt einen Regenmantel dabei?“ Sein Meister sah Masamune nicht einmal an.
„ Hättest du mal wieder nicht taggeträumt, als ich dich gewarnt hatte, dass ein Sturm heraufziehen könnte, hättest du dir einen eigenen Regenmantel mitbringen können.“ Masamunes Schultern fielen herunter. Das hatte er nun davon!
Wenige Minuten später war der Regen in voller Stärke hier. Masamune kauerte unter der Plane mit den Waffen, während nun auch noch der Wind zu pfeifen begann und Blitz und Donner den Himmel erleuchteten. Solche Sommergewitter waren nicht unüblich, doch in solcher Härte und Schnelligkeit. Das war schon recht ungewöhnlich.
„ Wir werden von der Strasse gehen.“ Sagte sein Meister dann mit beunruhigter Stimme.
„ Dieser Sturm wird besonders hart. Ich fühle es in meinen Knochen.“ Masamune sah in den Himmel. In der Tat, einen solch dunklen Himmel hatte er selten gesehen. Doch wo sollten sie hin? Hier war nichts außer Wald und einigen Hügeln.
„ Dort!“ rief sein Meister und deutete in die Ferne. Masamune kniff die Augen zusammen und tatsächlich war in der Ferne schwach leuchtendes Licht zu erkennen.
„ Ein Haus?“ rief Masamune in den fauchenden Wind hinein. Sein Meister antwortete ihm nicht, sondern steuerte den Wagen direkt in Richtung des Lichtes. Der Untergrund war feucht und schlammig, so dauerte es eine Weile, bis sie endlich an der Quelle des Lichtes angekommen waren. Zwei helle Fackeln, windgeschützt, vor einem schmiedeeisernen Tor, hinter dem ein kleines, in einen Hügel eingelassenes Haus zu sehen war. Es brannte Licht in dem Haus und Schatten huschten von einem Fenster zum anderen. Es war spät, es dürfte Abendessenszeit sein. Masamunes Magen knurrte bei dem Gedanken, als plötzlich das Gesicht eines kleinen, gedrungenen Jungen am Fenster zum Vorschein kam. Er starrte die beiden an, dann rief er etwas und wenige Sekunden später öffnete sich die schwere hölzerne Türe und ein kleiner Mann mit einer großen Axt in der Hand trat heraus. Bei genauem Hinsehen entpuppte sich der kleine Mann als ein Zwerg, in dessen braunen Bart weiße Strähnen zu sehen waren. Er musste über hundert Jahre alt sein. Masamune starrte, der Zwerg starrte zurück, bis sein Meister das Schweigen brach.
„ Barag khulzad, mein Herr!“ rief er dem Mann entgegen, die traditionelle Grußformel im zwergischen Volk. Es kam keine Antwort.
„ Vergebt unser Eindringen, wir sind vor dem Sturm geflohen und suchen Unterschlupf.“ Der Zwerg musterte sie, die Axt fest im Griff.
„ Wir möchten keine Umstände machen; sobald der Sturm sich gelegt hat, werden wir wieder gehen.“ Der Zwerg musterte sie noch immer, dann kam er näher und öffnete das Tor.
„ Wir danken Euch“, sagte Masamunes Meister dankbar. Er lenkte den Wagen neben das Haus, wo es auch eine Scheune gab in der Alrig untergebracht wurde. Masamune spürte sein Leben wieder in seine Glieder fahren, als sie das warme Haus betraten. Eine kleine Familie lebte hier, der Zwerg, seine Frau und drei Kinder, eines davon der Junge, der sie am Fenster beobachtet hatte. Die Frau war freundlich, nahm ihnen die nassen Kleider ab und hieß sie willkommen.
„ Jeder Angehörige des Volkes von Durgador ist hier willkommen. Kommt, setzt euch an den Tisch, esst mit uns. Kinder, deckt für unsere Gäste.“ Die Kinder verstreuten sich und wenige Augenblicke später kamen sie mit Geschirr und Bechern und zwei zusätzlichen Stühlen. Masamunes Magen knurrte erneut, was die Aufmerksamkeit der Frau erregte.
„ Du hörst dich hungrig an. Und siehst auch so aus, so dünn wie du bist. Ihr Menschen solltet mehr in gutes Essen investieren als in euren teuren Schmuck und dünnen Kleider.“ Masamune lächelte, ließ sich von der Frau an den Tisch bringen, während sein Meister neben ihm Platz nahm, streng beobachtet von den Augen des Herren des Hauses.
Es gab Haseneintopf mit Speck und Kartoffeln, deftig und dick und warmes, schweres Brot und Bier; Masamune langte zu, er aß, als hätte er schon lange nichts mehr gegessen. Die Frau, die sich als Thurgrudid vorstellte, lächelte zufrieden und schöpfte nach. Ihr Mann Khelgrur blieb schweigsam, noch immer seinen Meister beobachtend.
„ So, wo kommt ihr her?“ fragte Thurgrudid schließlich, um die Stille zu brechen.
„ Ausch Bhul Murra“, antwortete Masamune knapp, den Mund voller Essen. Seine Augen fielen auf das Wappen, das an der Wand hing; ein Amboss mit zwei gekreuzten Hämmern, das Zeichen der Schmiede der Zwerge und darunter zwei rote Äxte über einem roten Schild mit Bissspuren darin.
„ Ihr seid ein Schmied?“ fragte Masamune schließlich heraus und der Mann sah von seinem Meister weg. Er nickte stumm.
„ Welcher Clan ist das?“ fragte Masamune neugierig. Khelgrur sah ihn an.
„ Der Clan der Kupferbeisser. Ich bin Khelgrur Kupferbeisser, mein Bruder ist der Häuptling der Kupferbeisser.“ Er nahm ein Schluck Bier.
„ Du kennst dich mit den Zeichen der Zwerge aus. Hat dir dein Meister das beigebracht?“ Masamune sah ihn überrascht an. Khelgrur lachte.
„ Ich erkenne einen Lehrling und seinen Meister sofort. Ich habe selbst Dutzende ausgebildet. Wenn auch alles Zwerge.“ Sein Argwohn war wieder da.
„ Was ist eure khon, Meister…?“ Die khon war die Profession, die ein Zwerg erlernt hatte.
„ Nur Hostug. Ich bin Schmied.“ Khelgrur sah ihn argwöhnisch an.
„ Und von welchem Clan seid Ihr?“ Es wurde still im Raum. Das Flackern des Lichtes war das einzige, das die Stille füllte, ehe Masamune sie durchbrach.
„ Das hier ist meine neueste Arbeit!“ Sagte er stolz und zog eine kleine Sichel aus seiner Seitentasche. Khelgrur richtete seine Augen auf Masamune, der ihm stolz sein kleines Meisterwerk aus Drakonium präsentierte. Der Zwerg nahm sie entgegen und warf einen scharfen prüfenden Blick darauf. Er nickte anerkennend und doch irgendwie gequält.
„ Nicht schlecht. Etwas grob an der Seite, so hält sie nicht lange. Mach die schärfelose Seite dicker und die Klinge wird ewig halten.“ Während die zwei nun redeten, versuchte Thurgrudid seinen Meister in ein Gespräch zu verwickeln, doch der sah nur betrübt auf sein Essen.
„ So hat es mir mein Meister beigebracht. Es ist natürlich kein Vergleich zu der Henkersaxt, die mein Meister seinem Bruder gemacht hat, aber es ist ein guter Anfang.“ Khelgrur und Hostug wurden beinahe gleichzeitig aufmerksam. Khelgrur lächelte.
„ Und wie heißt der Bruder deines Meisters?“ Es wurde wieder still. Masamune lächelte zurück.
„ Na, Baurug. Baurug Glutseher.“ Der Blick von Khelgrur verschärfte sich. Hostugs Augen verengten sich. Khelgrur stand auf.
„ Hostug. Hostug Glutseher.“ Er sah auf seine Frau.
„ Thurgrudid, bring die Kinder nach oben. Gleich!“ Schnell stand seine Frau mit den Kindern auf und ging hinaus. Masamune begriff erst, als Khelgrur nach seiner Waffe griff.
„ Ich wusste es.“ Sagte er leise.
„ Ich wusste, dass ich Euch von irgendwoher kannte. Hostug Glutseher, Bruder von Baurug Glutseher, Sohn von Firbog Glutseher. Ein Clan voller FEIGLINGE!“ rief er erzürnt und deutete mit der Axt auf seinen Meister.
„ Euer Clan hat das Zwergenvolk verraten, ihr seid aus dem Kampf geflohen. Schande, Schande über Euch und Euren Clan. Und jetzt verratet Ihr den Menschen auch noch das Geheimnis des Drakoniums?“ Er hob seine Axt, bereit zum Schlag; sein Meister wich aus und die Axt zerteilte den Stuhl in zwei Teile. Masamune fiel erschrocken von seinem Stuhl.
„ Wenn ich daran denke, dass ich mein Haus und mein Essen mit einem VERRÄTER geteilt habe.“ Er schwang erneut, eine Vase splitterte, Masamunes Meister wich erneut aus.
„ Schande, SCHANDE über Euch und Euren verfluchten Clan!“ Schrie er um erneut zu schwingen. Masamune war starr vor Schock. So hatte er sich diese Reise gar nicht vorgestellt. Es sollte eine gemütliche Reise werden, ein paar Waffen abliefern und ein paar freundliche Zwerge kennen lernen und nicht im nächsten Moment von einer scharfen Zwergenaxt zerteilt werden. Es splitterte, die Axt hatte einen Stuhl der Kinder zerteilt. Khelgrur trieb Hostug in die Ecke und bedrohte ihn nun mit der Spitze seiner Axt.
„ Ein Glutseher weniger auf dieser Welt.“ Sagte er ruhig. Masamune kam aus seinem Schock heraus. Er dachte nicht, er handelte nur noch. Er erinnerte sich an etwas, dass ihm sein Meister einst versucht hatte beizubringen. Etwas, das nun wichtig sein würde. Er sprang auf und rief.
„ Tribunal der Fünf!“ Khelgrur hielt inne in seinem Schwung.
„ Was?“ fragte er.
„ Tribunal der Fünf. Ich berufe das Tribunal der Fünf.“ Khelgrur knurrte.
„ Du kannst das Tribunal der Fünf nicht einberufen. Dein Meister stirbt hier und jetzt.“
„ Doch ich kann! Ich bin dhruzul, ein Familienmitglied.“ Khelgrur sah den jungen Mann spöttisch an.
„ Du hast Mumm, Kleiner. Aber mach dich nicht lächerlich. Du bist kein druzul. Du bist ein Mensch.“ Masamune kam näher.
„ Ein dhruzul muss kein Zwerg sein. Ich lebe seit vielen Jahren mit meinem Meister zusammen. Ich habe mit ihm gegessen und getrunken, habe von ihm gelernt und habe mit ihm gekämpft. Ich habe den Kodex und die Gesetze der Zwerge gelernt. Ich bin Teil seiner Familie. Ich berufe das Tribunal der Fünf!“ Masamune zitterte, er musste dem Blick des Zwerges unbedingt standhalten. Wegzusehen bedeutete Schwäche und Schwäche würde den Zwerg vielleicht den Kodex vergessen lassen. Khelgrur schnaufte.
„ Nun gut.“ Sagte Khelgrur, immer noch erzürnt. Er packte Hostug und setzte ihn auf einen Stuhl.
„ Wenn du dich so gut auskennst, Kleiner. In welchem khon soll das Tribunal stattfinden?“ Hostug sah seinen Schüler verzweifelt an. Er wusste, dass er keine Chance gegen Khelgrur hatte. Die Kupferbeisser waren gefürchtete Krieger und er war keiner. Er konnte Waffen schmieden, aber keine schwingen.
„ Masamune, was tust du?“ Khelgrur drehte sich um.
„ Dein Schüler hat das Tribunal der Fünf einberufen. Nun muss er sich stellen.“ Er sah hinab.
„ Oder du stirbst gleich hier, Verräter.“ Die Augen waren kalt.
„ Ich wähle das khon der ghurud.“ Khelgrur lachte.
„ Schmiede? Du willst das Tribunal der Fünf mit einem Schmiedewerk vollziehen? Du bist ein Schüler! Noch dazu ein Mensch!“ Khelgrurs Lachen erschütterte das Haus. Masamune blieb eisern. Khelgrur sah zu Masamune.
„ Nun gut. Morgen werde ich fünf Schmiedemeister herbeirufen. Die Hauptstadt ist nahe, es wird nicht lange dauern. Dann wird das Tribunal einberufen. Ich hoffe, du kennst die Regeln. Du hast einen Tag Zeit. Keine Hilfe, keine Magie, nur einen Hammer, ein Amboss und Schmiedezubehör. Sonst nichts. Versage und dein Meister stirbt. Am Morgen dann.“ Khelgrur ergriff den blutenden und erschöpften Hostug und führte ihn aus dem Haus. Masamune fiel mit einem langen Atemstoß auf den Boden. In was hatte er sich denn nun schon wieder geritten?
Der Morgen kam schneller, als es ihm lieb war. Fünf Schmiedemeister würden das Tribunal überwachen. Masamune zitterte. Er hatte einen Tag Zeit, um ein Meisterwerk zu schmieden, das die fünf Meister davon überzeugte, seinen Meister zu verschonen und seine Schuld zumindest teilweise abzubauen. Hostug war angekettet, bewacht von zwei Schmiedegehilfen mit ihren Hämmern, als Khelgrur hervortrat.
„ Das Tribunal der Fünf wurde einberufen. Fünf Meister werden deine Arbeit beurteilen um festzustellen, ob der Verräter verschont bleiben darf oder er jetzt gleich für seine Taten mit seinem Leben bezahlen muss. Lasst Durgadors Augen auf uns gerichtet sein! Möge er Kraft und Stärke in die Hände des Einberufers legen, wenn er würdig ist und ihm Schwäche und Missgeschick zuteilen, wenn er es nicht ist. Dhazan khel khurad!“ So sollte es beginnen. Khelgrur schloss die Tür der Esse hinter sich. Nun war er allein. Masamune hatte einen Tag Zeit, um das Meisterwerk zu vollenden, oder sein Meister starb.
Was hatte er sich nur dabei gedacht? Masamune wurde bleich. Er war kein Meister, er war noch kein richtiger Schmied, alles, was er bisher gemacht hatte, war die Sichel, ein paar Messer und Hufeisen. Wie sollte er nun fünf Meister davon überzeugen, seinen Meister zu verschonen? Er legte sich flach auf den Boden. Wie konnte er nur so dumm sein? Er würde seinen Meister töten, wenn er nicht gut war! Er atmete schwer, fasste neben sich, griff das Eisen, das neben ihm lag und drückte zu, so fest er konnte. Es war kalt, er warf es weg, es prallte an der Wand ab und traf die verzierte Kiste. Masamunes Augen wurden groß.
„ Natürlich.“ Dachte er rasch. Das Lunarium! Es hatte ihm schon einmal geholfen, es würde es wieder tun! Er öffnete die Kiste. Es war nicht mehr viel da, er hatte zuviel verbraucht, als er die kurze Klinge geschmiedet hatte. Was sollte er nun mit dem kläglichen Rest? Er legte das Metall zu Füßen.
„ Denk, Kosen, denk!“ sagte er zu sich selbst. Er versuchte sich zu erinnern. Was er gehört hatte. Was er vergessen hatte. Alles konnte wichtig sein. Gedankenfetzen zogen durch seinen Kopf.
„ Meisterwerke… meisterhaft… wahrlich…“ die Stimme seines Meisters schien weit weg.
„ Größe ist unwichtig… Vielfalt… Nützlichkeit… „ Sie kam näher.
„ Einfachheit ist Größe…“ Masamune riss die Augen auf. Er sah es vor sich! Er ergriff das Metall und erhitzte die Glut in der Esse. Das Glühen spiegelte sich in seinen Augen.
Es war beinahe Abend, als Masamune aus der Schmiede trat. Unter den musternden Augen der Meister trat er in die Abendsonne des warmen Tages.
„ Du hast dein Werk vollendet?“ fragte Khelgrur. Masamune nickte.
„ Zeig es uns.“ Masamune zögerte, sein Blick fiel auf seinen Meister, der angekettet wie ein Verurteilter auf den Henker wartete.
„ Was ist? Hast du Zweifel?“ Khelgrur musterte den jungen Mann mit seinen harten Augen. Masamune sah auf. Es war kein Zweifel zu sehen. Langsam wanderte seine Hand zu dem Tuch, das über einer Holzplatte lag. Er entfernte das Tuch und offenbarte eine orangene Axtklinge, schmucklos, ein Sporn ragte aus dem hinteren Teil der Axtklinge hervor. Die Meister besahen sich das Werk, sahen sich entgeistert an. Khelgrur trat vor.
„ Was soll das sein?“ Er sah das unscheinbare Stück Metall an. Sein Blick war voller Zorn.
„ Wie kannst du es wagen, das Tribunal der Fünf so zu beleidigen? Jahrhundertealte zwergische Tradition wird nicht beschmutzt werden!“ Er nickte den beiden Gehilfen zu, die ihre Äxte hoben.
„ Wartet!“ rief Masamune. Khelgrur hielt ein.
„ Ich werde euch den Wert dieser Waffe demonstrieren.“ Die Schmiedemeister lachten.
„ Das ist keine Waffe. Das ist ein Axtblatt ohne Stiel. Wertlos.“ Sagte ein älterer Schmiedemeister. Masamune sah ihn an.
„ Nicht wertlos.“ Er sah zu seinem Meister.
„ Mein Meister hat es immer schon schwer mit mir gehabt. Ich bin ein schlechter Schüler. Ich höre nie zu, ich verbiege Hufeisen und wetze Klingen zu schwer, dass sie stumpf werden. Doch etwas werde ich nie vergessen.“ Er warf die Klinge auf einen Baum, wo sie stecken blieb.
„ Einfachheit schlägt alles. Es ist der, der sie schwingt, der zählt.“ Er trat hervor, zog die Klinge hervor und setzte sie an seine Stoppeln an. Mit einem schnellen Schnitt hatte er die Hälfte seiner Barthaare entfernt. Zurück blieb eine beinahe spiegelglatte, wundenlose Haut. Die Meister wurden aufmerksam. Masamune grinste. Er griff nach einem Stück Holz, das herumlag und schlug das Axtblatt hinein. Das Holz wurde in zwei Teile gespalten. Er nahm eines der Holzstücke heraus und drückte das Axtblatt auf das Holz, befestigte es anschließend mit einem Nagel. Er schwang die Axt herum, zerteilte noch mehr Holz, warf die Axt gegen die Scheune, die dort stecken blieb. Masamune zog sie heraus, drehte die Axt und schlug den Sporn hinein. Mit einem Ruck riss er eine Latte aus den Fugen.
„ Je einfacher, desto vielseitiger ist eine Waffe.“ Er lief auf einen Baum zu, rammte den Sporn hinein und war in zwei, drei Sprüngen auf einem dicken Ast gelandet. Die Meister sahen auf.
„ So ist sie für alles verwendbar.“ Er zog den Nagel heraus und warf den Stiel herab. Mit einem schnellen Hieb trennte er einen Ast ab und machte aus ihm einen neuen Stiel. Mit Hilfe des Sporns war er schnell wieder auf dem Boden.
„ Nicht zuletzt sollte man sich nie vom Aussehen einer Waffe täuschen lassen.“ Er überreichte die Waffe einem der Schmiedemeister. Der sah sich die Waffe an, ehe seine Augen groß wurden.
„ Das, das ist…“ er reichte die Waffe weiter, Khelgrur griff nach der Waffe, fasste an das Axtblatt und ließ mit einem kurzen Schrei sofort wieder los.
„ Unmöglich…“ flüsterte er.
„ Alles ist möglich.“ Sagte Masamune, als er seine Lunariumklinge wieder aufhob. Die Schmiedemeister flüsterten einander zu. Einer winkte die Gesellen herbei, die seinen Meister mit sich brachten. Einer der Meister trat vor.
„ Du hast einen… außergewöhnlichen Schüler, Hostug Glutseher. Wir werden beraten.“
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Urteil gefallen war. Khelgrur trat vor, sichtlich zufrieden. Das gefiel Masamune nicht.
„ Hostug Glutseher, steht auf.“ Die Gehilfen hoben Hostug auf seine Beine.
„ Bei Durgador und dem Volk der Zwerge, im Namen aller die das khon ghurud bekleiden, höre unseren Richtspruch: Das Werk deines Schülers ist keine Arbeit eines Zwerges. Sie ist bar jeder Form und Eleganz, jeder Richtlinie und jeder schmiedischen Regel, die das Volk der Zwerge jemals aufgestellt hat.“ Hostug senkte den Kopf.
„ Jedoch…“ Er sah zu Masamune.
„ Ist der Einforderer kein Zwerg, sondern ein Mensch. Jung, frech und naiv, aber nichtsdestotrotz ein dhruzul, jemand, der nach unserer Ansicht das khon der ghurud eines Tages vielleicht um neue Perspektiven bereichern wird. Und die braucht nicht nur das Volk der Zwerge. Nein, jedes Volk dieser Welt. Andernfalls gehen wir unter.“ Er sah zu Hostug.
„ Du wirst heute nicht sterben. Macht ihn los.“ Hostugs langes, erleichtertes Atmen war auch der Befreiungsstoß von Masamune, der auf die Knie sank. Khelgrur sah zu Hostug, sprach in der Sprache der Zwerge, Masamune verstand nicht, er war weit weg, die Sonne war immer noch hell und warm. Morgen würde es wieder heiß werden. Und das Leben würde weitergehen.
Als sie sich von den Zwergen verabschiedeten, war es Mittag. Masamunes Klinge war nah bei ihm, nah an seinem Herzen, so wie das Dekret der Fünf an Hostugs Herzen war.
Diese Reise war noch nicht zu Ende.

3. Geschichte: Zitterndes Blatt
Wenn in einem fremden Land…
Er wachte auf.
Was für andere Menschen normal erschien, war für ihn jeden Tag aufs Neue ein kleines Wunder. Langsam öffnete er seine Augen und richtete sich auf. Er schnaufte verärgert, kratzte sich den Kopf. Wieder eine beschissene Nacht! Er gähnte, er war müde und in einer ausgesprochen schlechten Stimmung. Der Schweiß lief ihm bereits von der Stirn, kaum dass die ersten Sonnenstrahlen sein Gesicht berührten. Seine Versuche, den Schweiß mit einer Hand wegzuwischen, führten nur dazu, dass er noch mehr Schweiß im Gesicht hatte. Ein Blick auf seine Wasserflasche verriet ihm, dass sie leer war. Er hob sie an, roch an ihr, warum, wusste er selbst nicht. Vielleicht in der Hoffnung, dass er doch noch etwas von dem Met riechen würde, der einst in dieser Flasche war. Doch das Wasser hatte allen Geruch herausgespült. Er warf sie vor das Lagerfeuer, das gestern Nacht noch freudig gebrannt hatte und ihm einen Hasen knusprig gebraten hatte und jetzt nur noch ein Haufen schwarzer Asche war. Eigentlich hatte er sich etwas von dem Hasen übrig gelassen, doch ein Blick in die Asche verriet ihm dass der Hase mit dem Feuer verbrannt war. Er schnaufte.
Was für ein beschissener Tag!
Er stand auf und begann, seine Sachen zusammen zu sammeln. Eine Decke, seine Kettenrüstung, ein Nasenhelm mit jeder Menge Kratzer und Schrammen und sein Schwert mit den vielen Scharten des Kampfes. Seine Hand zitterte, als er es anhob, das Zittern übertrug sich auf das Schwert und er musste zweimal zielen, bevor er es in die Holzscheide stecken konnte. Sein blondes, langes Haar fiel ihm ins Gesicht, als er sich für seinen Schild bückte. Mit einem schnellen Puster war es aus seinem Gesichtsfeld und er war reisefertig. Er drückte seinen Rücken durch und machte sich auf den Weg. Immer weiter gen Süden, das hatte man ihm geraten, bis das Land langsam starb. Dann würde er dort sein. Im Lande der Orks. Dort brauchte man ihn, hatte man ihm gesagt. Die Orks wären wilde Kreaturen, doch sie wären undiszipliniert und bräuchten jemanden, der ihnen eine… andere Art des Kämpfens beibrachte.
„ Das wäre doch eine Aufgabe für dich, Tyrgar Tyronsson.“ Er hörte die Stimme seines Kameraden Gunnar Thialfison in seinem Kopf. Und das jeden Tag, seit er sich auf den Weg gemacht hatte.
„ Die Orks zahlen gut. Man muss sich nur durchsetzen können.“ Tyrgar schnaufte. Dieser elende Schwätzer Gunnar! Er selbst war nie dort unten gewesen, doch es gäbe zuverlässige Berichte über den Häuptling des Forsan-Clanes! Die Orks hätten sich geändert! Tyrgar spie aus, schüttelte den Kopf. Nichts davon bestätigten ihm die Menschen hier. Nichts! Barbaren, allesamt! Sei froh, wenn du mit deinem Leben davon kommst! Geh nicht dorthin!
„Verdammt Gunnar!“ dachte er sich, während seine Füße festen Untergrund betraten. Die Südstrasse führte direkt in das Territorium der Orks, es gab keine Räuber hier, denn es patroullierten bereits die Orks hier manchmal. Eins musste man dem Nakmor-Clan lassen. Sie wussten ihr Gebiet zu verteidigen.
Geräusche von Metall, Schlägen und dem Schrei eines Menschen ließ ihn aufhorchen. Leise schlich er sich in Richtung der Geräuschquelle, um zu sehen, was los war. Wenn es Orks waren, war er verschwunden. Und er würde viel Geld darauf wetten, dass es Orks waren.
Es waren keine Orks. Es waren drei Männer, mit Messern und Kurzschwertern bewaffnet. Sie hatten einen kleinen Karren überfallen, zwei Männer und eine Frau, Bauern zweifelsohne auf dem Weg nach Norden. Dass sich überhaupt noch jemand traute, hier zu farmen! Er ging näher heran. Der Mann war scheinbar bewusstlos, blutete aus einer Kopfwunde, die Frau stand neben ihm, weinend, flehend. Der andere, scheinbar etwas jüngere Mann hingegen hatte ein Kurzschwert gezogen. Die Klinge schimmerte grünlich, so etwas hatte Tyrgar noch nie gesehen. Und die Räuber anscheinend auch nicht. Nun, das war nicht sein Problem. Er wollte sich umdrehen, Klingen prallten aufeinander und ein Schmerzensschrei verriet einen weiteren Verwundeten. Der junge Mann hielt sich die Hand, sie hatte einen Schnitt und er blutete. Tyrgar rollte die Augen.
„ Sei ein Mann.“ Dachte er zu sich selbst.
„ Von so einer kleinen Wunde stirbt man nicht.“ Die Räuber kamen näher heran an ihn heran, einer griff nach der Frau und zog sie an den Haaren zu sich. Tyrgar seufzte. Verdammte Ehre. Er griff nach seinem Nasenhelm und setzte ihn auf. Dann nahm er seinen Schild hoch und zog sein Schwert. Er zitterte. Es würde bald aufhören. Wenn er kämpfte, hörte das Zittern auf. Dann war er voll da! Dann war er lebendig. Er kam aus seinem Versteck, laut raschelnd. Er hatte die Aufmerksamkeit der Räuber. Der junge Mann ergriff die Gelegenheit und kroch hinter den Wagen.
„ Wer bist du?“ sagte der erste. Tyrgar gab keine Antwort, lief nur weiter auf sie zu. Der Räuber mit der Frau deutete auf Tyrgar und seine beiden Freunde liefen auf ihn zu, blind, undiszipliniert schwangen sie ihre Waffen. Den ersten blockte Tyrgar mit seinem Schild ab, stieß ihn dann mit dem Schildbuckel zu Boden, wo er unsanft landete und liegenblieb. Sein Kopf blutete, das hielt den anderen nicht davon ab, Tyrgar zu attackieren. Tyrgar hob sein Schwert, blockte den amateurhaften Angriff ab, drängte ihn zurück. Einer erneuten Attacke wich er aus und schlitzte dem Mann den Rücken auf. Er schrie auf, ließ seine Waffe fallen und wälzte sich auf dem Boden.
„ Erbärmlich.“ Dachte sich Tyrgar, ehe er auf den zweiten zulief. Der hatte bereits begonnen zu zittern, ließ die Frau los und hob sein Kurzschwert in einem verzweifelten Versuch der Verteidigung.
„ Was willst du Mann? Geh weg. Geh weg!“ rief er, zweifelsohne in dem Versuch, Tyrgar einzuschüchtern. Tyrgar schritt weiter auf ihn zu, ein angetäuschter Schlag nach dem Räuber ließ ihn seine Waffe fallen lassen. Er fiel zu Boden, zitternd, bis Tyrgar wenige Meter vor ihm stand. Tyrgar schnaufte, hieb noch einmal nach ihm, bis der Mann davonkroch aufstand und weglief, so schnell er konnte. Sein Freund mit dem aufgeschlitzten Rücken hatte sich aufgerappelt und seinen Freund mit der Kopfwunde aufgeweckt. Zusammen machten sie sich so schnell sie konnten auf den Weg in die Wildnis. Tyrgar schnaufte erlöst, steckte sein Schwert zurück und bot der Frau seine Hand an. Zögernd ergriff sie sie, Tyrgar zog sie nach oben. Sie sah ihn mit Unsicherheit in den Augen an, bedankte sich jedoch, eilte dann zu ihrem Mann. Tyrgar inspizierte den Wagen. Er war voll mit Möbeln und Lebensmitteln, Decken und Tuch. Sie scheinten umziehen zu wollen. Konnte er ihnen nicht nachsehen!
Ein kratzendes Geräusch ließ Tyrgar herumfahren, sein Langmesser bereit zum Stoß. Der junge Mann kam aus seinem Versteck hervorgekrochen. Tyrgar atmete ruhig aus. Er steckte das Messer weg und half dem jungen Mann hoch. Der ergriff seine Hand und schüttelte sie ausgiebig.
„ Vielen Dank! Vielen Dank, guter Mann! Ohne Euch wären wir diesen Banditen hilflos ausgeliefert gewesen. Vielen Dank!“ Tyrgar wurde durchgeschüttelt, lächelte halb unter seinem Helm und entzog sich dem doch recht festen Griff des jungen Mannes.
„ Schon gjut.“ Sagte er leise. Er hasste es zu sprechen, es machte einen Krieger immer halb effektiv, wenn er sprach, aber noch ineffektiver, wenn er nicht richtig sprechen konnte. Tyrgars Blick fiel auf den Beutel, der um den Hals des jungen Mannes hing. Mit einem Grunzer deutete er darauf.
„ Oh, das?“ der junge Mann hob den Beutel von seinem Hals und öffnete ihn. Darin waren ein Hammer, Metallstücke, Papier, jede Menge Kram und eine Holzscheide, zweifellos von seinem seltsamen grünen Schwert.
„ Ich bin Schmied. Ein Meister sogar, wenn auch nicht lange. Mein Meister sagte zu mir, ich solle in die Welt hinaus und, naja, als erstes fiel mir der Süden ein. Mein Meister hielt mich für verrückt, in die Orklande zu gehen, doch ich dachte mir, wenn jemand Schmiede braucht, dann die Orks. Die sollen ja immer noch mit krummen Schmiedehämmern arbeiten. Nicht sehr effektiv, oder?“ der junge Mann lachte, dann redete er weiter. Tyrgar starrte ihn an. Er redet sehr viel. Na wunderbar! Kann nicht kämpfen aber dafür reden.
„Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, wie unhöflich von mir.“ Der junge Mann zog seine Reisekleider fest.
„ Ich bin Kosen Shojin Ito Masamune. Schmiedemeister und Reisender. Und ihr?“ Tyrgar sah den jungen Mann an, der ihm die Hand anbot. Er schnaufte, dann ergriff er sie.
„ Tyrgar Tyronsson.“ Sagte er leicht behaucht und leise. Masamune lächelte und Tyrgar setzte sich in Bewegung. Ein Rad des Wagens war gesplittert und musste ersetzt werden.
„ Tyrgar, he? Du kommst aus dem Norden, oder? Darf ich fragen, was du hier tust?“ Tyrgar suchte nach einem Ersatzrad und montierte es auf den Wagen.
„ Arbweit.“ Sagte er kurz. Masamune stellte sich neben ihn.
„ Arbeit? Bei den Orks? Was seid ihr von Beruf? Wollt Ihr den Orks das Rülpsen und Schmatzen abgewöhnen?“ Masamune lachte, Tyrgar antwortete ihm nicht. Wenige Minuten später war der Wagen repariert. Das Paar bedankte sich ausschweifend, was Tyrgar ruhig hinnahm. Während dieser Zeit redete der junge Mann einfach weiter. Auch als Tyrgar loslief, wich er nicht von seiner Seite, schwallte ihn voll, mit Erzählungen von der perfekten Glut, von Drakonium, von Eisen und von Silber, wie man es bearbeitete und wie man es von Fälschungen unterschied. Es wurde Nacht und Tyrgar suchte einen Platz zum Übernachten. Er legte seine Sachen ab, der junge Mann tat es ihm gleich. Er redete sogar dann. Tyrgar sah den jungen Mann eine Weile an, bis er schwieg. Er deutete auf sich.
„ Hohltz.“ Sagte er kurz, dann nahm er sich seine Axt und verschwand im Gebüsch. Morgen würde er den Schwätzer loswerden. Er konnte ihn noch immer reden hören.
Der nächste Morgen war nicht viel besser als der vorherige. Noch immer schwitzte er ausgiebig, noch dazu war er mitten in der Nacht dreimal aufgewacht. Langsam erhob er sich, warf einen Blick auf seine zitternde Hand. Auf sie konnte man sich verlassen. Er schnaubte verärgert, ein kurzes Schnarchen ließ ihn zur Seite blicken. Noch immer lag der Schwätzer neben ihm, er redete sogar im Schlaf, wie er auf seinen gezwungenen nächtlichen Spaziergängen festgestellt hatte und selbst dann konnte er nur vom Schmieden erzählen. Ein paar Mal überkam ihn die Lust, dem Schwätzer den Mund mit einem Holzprügel zu stopfen, doch er ließ es bleiben. Die Orks würden ihm die Arbeit wahrscheinlich sowieso bald abnehmen und er würde seinen Tod nicht auf dem Gewissen haben. Er sah sich um, dann griff er in seine Tasche und nahm eine gelbe Kürbisflasche heraus. Er entfernte den Korken und nahm einen tiefen Schluck. Er atmete erleichtert auf, als der Schnaps in seine Kehle floss. Das Zittern hörte auf und er war fitter und klarer im Kopf. So wie er es sein sollte, wenn sie in das Reich der Orks gingen. Sie waren nicht mehr weit entfernt von der Grenze, der alte Marktplatz dürfte morgen in Sicht kommen. Hoffte er. Seine Fähigkeit, Zeit abzuschätzen war nicht mehr die wie früher. Er sah zurück, der junge Schmied war auch aufgewacht und begann, seltsame Bewegungen zu machen.
„ Was machst du da?“ rief er ihm zu. Der junge Mann reagierte nicht. Tyrgar schnaufte.
„ HE, SCHMIED!“ Masamune stolperte und fiel erbarmungswürdig hin.
„ Was sollen diese… seltsamen Bewegungen“, fragte Tyrgar, seine Kürbisflasche in der Hand. Masamune lächelte und sah auf.
„ Morgenübungen.“ Tyrgar sah ihn unverständlich an.
„ Morgenübungen. In meiner Heimat nennt man die „ Hai Bo Wen“, „ eleganter Fluss der Energie“.“ Tyrgar schüttelte den Kopf.
„ Was für ein Unsinn.“ Sagte er abwertend und wandte sich seiner Ausrüstung zu. Masamune sah auf, er hatte den rechten Arm erhoben und legte den Kopf auf die linke Schulter.
„ Sie sind kein Unsinn. Sie dehnen die Muskeln und lassen das Blut fließen.“ Er nahm die linke Hand hoch und legte den Kopf auf die rechte Schulter.
„ Wenn du willst, bringe ich sie dir bei, sie sind ganz…“ Ein Geräusch ließ Tyrgar zusammenfahren.
„ Hörst du das?“
„ Was soll ich hören? Ich höre dich sprechen.“ Er lachte auf, Tyrgar deutete ihm leise zu sein.
„ Was ist denn los? Angst vor Rehen?“ fragte Masamune laut und provozierend.
„ Still!“ wisperte Tyrgar.
„ Oh Tyrgar komm schon, es gibt hier nichts…“ kaum hatte er das ausgesprochen, sah er zwei große Orks aus dem Gebüsch kommen. Mindestens einen Kopf größer und bewaffnet mit je einem hässlich verformten Schwert. Sie trugen das Symbol des Nakmor-Clans. Ihre Zähne waren eckig und bräunlich verfärbt. Tyrgar zog sein Schwert und seinen Dolch.
„ Wat hamwer denn hier?“ sagte der erste Ork, ein Eisenträger, nach seiner Ausrüstung. Inzwischen waren noch drei weitere Orks aus dem Gebüsch gekommen, zwei davon mit kruden Holzbögen. Sie waren ganz klar unterlegen.
„ Wir wollen keinen Ärger.“ Sagte Tyrgar beschwichtigend.
„ Wir sind Söldner, auf der Suche nach Arbeit.“ Die Orks musterten sie eindringlich.
„ Is det so? sagte der Eisenträger, der einen Schritt nach vorne gemacht hatte.
„ Der da sieht mer aber nich so os.“ Er deutete auf Masamune.
„ Der ist Schmied, er kommt den gleichen Weg wie ich.“ Die Orks lachten.
„ Een Schmied? Mit den Ermchen?“ die Orks lachten. Ein Ork trat vor und inspizierte Masamune, den die Angst gefrieren ließ.
„ Da hat ja meen Sohn dickere Erme. Und der is fünf.“ Die Orks lachten.
„ Es kommt nicht auf die Arme drauf an, sondern was hier ist.“ Sagte Masamune auf seinen Kopf deutend. Er war aus seiner Starre ausgebrochen, halb lebensmüde. Der Ork sah grimmig.
„ Nennste meenen Sohn dumm?“ Masamunes Augen weiteten sich.
„ Nein, nein, ich…“ Tyrgar trat vor Masamune.
„ Das hat er nicht so gemeint. Seht her, so gut ist er.“ Er nahm Masamunes Schwert und hob es dem Ork entgegen. Der war fasziniert von dem glitzernden Grün des Schwertes und wollte es greifen. Da brüllte der Eisenträger und schritt dazwischen. Er riss Tyrgar das Schwert aus der Hand und begutachtete es. Masamune sah Tyrgar böse an. Tyrgar schwitzte, der Ork hätte ihn umgebracht, wenn er ihn weiter provoziert hätte.
„ Dit is von dir?“ fragte der Ork Masamune. Masamune nickte halbherzig.
„ Nich schlecht. Wird unsrem Häuptling gefallen. Wir nehmen ihn mit.“ Er sah zu Tyrgar.
„ Du bist een Söldner?“
„ Ich bin nicht nur Söldner. Ich bin ein Waffenmeister.“ Die Orks sahen sich an.
„ Du willst ein Waffenmeister sein?“ Tyrgars Blick fixierte den Anführer. Es war eine Situation von Raubtier zu Raubtier. Ihre Blicke banden sie zusammen und der erste, der wegsah war tot.
„ Ich war Ausbilder in der „Weißen Hölle“.“ Sagte er ruhig. Der Anführer stutzte.
„ Die weeße Hölle. Det is ja was besonderes.“ Er kam näher an Tyrgar heran.
„ Kannste ooch mit Streitaxt und Keule kämpfen?“ Tyrgar verlor den Ork nie aus dem Blickfeld.
“ Das kann ich. Ich beherrsche alle Waffenarten. Speer, Bogen und auch Langschwert.“ Der Ork merkte auf.
„ Langschweert? Dat is wat besonderes. Det können nich viele.“ Tyrgar schnaufte, er wurde wieder unruhig. Die Kürbisflasche an seinem Gürtel baumelte verführerisch, doch er wagte nicht danach zu greifen.
„ Ich beherrsche es. Ich war der beste meines Jahrgangs.“
„ Is det so?“ Tyrgar wurde immer unruhiger.
„ Wir sind hier, weil wir gehört haben, die Orkstämme suchen fähige Kämpfer und Waffenmeister. Wenn das nicht wahr ist, dann gehen wir wieder.“ Er bückte sich nach seiner Reisetasche und sofort hatten die anderen Orks ihre Waffen gezogen. Der Anführer schnaubte kurz.
„ Wenn ihr wirklich Arbeet wollt, bringen wir euch zu unsrem Häuptling. Doch wenn ihr geloochen habt…“ Masamune schluckte. So hatte er sich seine Reise Richtung Süden wahrlich nicht vorgestellt.
„ Wir gehen zum Häuptling.“ Brüllte der Anführer. Masamune war noch immer erstarrt.
Er kam erst aus seiner Starre, als ihn Tyrgar am Ärmel packte.
„ Komm jetzt. Ich hoffe, du bist wirklich ein so guter Schmied, wie du immer behauptest.“ Masamune sah Tyrgar leer an. Er hoffte es in diesem Moment wirklich auch.
Die Reise dauerte nicht so lange, wie es Tyrgar sich vorgestellt hatte. Sie waren tatsächlich sehr nahe an der Grenze, sie liefen vorbei an Ruinen von Siedlungen der Menschen und auch an einem großen, runden, steinernen Kreis vorbei, der einst der Grenzmarkt gewesen war. Er war nun verlassen und überwuchert von Pflanzen. Die Natur hatte sich die Grenze zurückgeholt. Es war ein fließender Übergang, der grüne Süden des Menschenreiches ging in den grünen Norden des Orkreiches über. Jedoch endete das Grün schneller, die Wälder waren lichter und überall waren Anzeichen von umherstreifenden Gruppen von Orks zu sehen. Der Boden war festgestampft, Äste herabgeknickt und die zerstörten Häuser der Dörfer, die einer Horde zum Opfer gefallen waren, waren deutliche Zeichen, was Orks waren. Masamune musste schlucken. Tyrgar saß neben ihm auf der Kutsche und bot ihm die Kürbisflasche an.
„ Trink das.“ Masamune nahm die Flasche und nahm einen tiefen Schluck. Der Inhalt brannte im Mund und Masamune musste husten. Tyrgar lachte.
„ Hast noch nie den Schnaps des Nordens probiert?“ Masamune schüttelte den Kopf.
„ Ich war so lange mit den Zwergen unterwegs, da gab es fast nur Bier.“ Tyrgar sah auf.
„ Du warst bei den Zwergen?“ Masamune nickte.
„ Nun ja, mein Meister war ein Zwerg. Eines meiner Werke hat ihm mal das Leben gerettet.“ Tyrgar sah den jungen Mann an.
„ Tatsächlich?“ Er sah zu den Orks. Langsam kam eine hohe Palisade in Sicht. Ein Orkdorf.
„ Nun vielleicht kann uns eines deiner Werke noch einmal das Leben retten. Die Orks werden uns sicher testen.“ Masamune sah die Orks an, die stoisch neben ihnen ritten. Er hatte so vieles gehört. Wilde, unberechenbare Bestien, ohne Sinn und Verstand, Mörder, Vergewaltiger, Banditen. Barbaren. Nicht vertrauenswürdig. So wie ihr Land aussah, war es wahrscheinlich nicht ganz unberechtigt. Am Tor der Palisade wurden sie schnell hereingelassen und steuerten schnell auf die Mitte des Dorfes zu. Wenige Häuser waren aus Stein, die meisten aus Holz oder große Zelte. Rauch stieg aus den lederbespannten Dächern auf und Kinder und Erwachsene sahen sich die Neulinge neugierig an. Ein Kind kam besonders nahe, wurde jedoch von einem der Orks mit einem Knurren wieder vertrieben. Vor ihnen tauchte ein großes, braunes Zelt auf, neben das zwei weitere, kleinere Zelte aufgebaut worden waren. Über dem Eingang war das vergoldete Symbol de Nakmor-Clans aufgehängt, an den Aussenwänden hingen Trophäen; menschliche Schädel, Köpfe von großen Tieren wie Wildschweinen oder Hirschen. Hier und dort war auch goldene Ketten zu sehen. Der Besitzer war definitiv ein reicher und mächtiger Krieger. Die wenigen Bäume im Dorf hatten bereits ihr Laub verfärbt. Der Herbst war da.
Als sie das Zelt betraten, kam ihnen sofort ein dichter Schwall dicker Luft entgegen. Es stank nach Bier und Fleisch, aber auch anderen Dingen, die Masamune nicht zuordnen konnte und auch nicht wollte. Der Anführer verbeugte sich und deutete ihnen, es nachzutun. Vor ihnen, auf einem Thron aus Stein, der mit Fell und zwei Eberköpfen aus Holz verziert war, saß ein fetter Ork, behangen mit Goldketten und Ringen, die kaum auf seine wulstigen, grünen Finger passten. Er trank aus einem goldenen Pokal, wobei die Hälfte danebenging. Neben ihm war ein gebratenes Schwein, von dem er sich genüsslich bediente.
„ Großer Häuptling Kilmar.“ Begann der Anführer. Der Häuptling reagierte nicht.
„ Wir haben Euch Geschenke gebracht.“ Der Häuptling war aufmerksam geworden.
„ Geschenke?“ Der Anführer deutete Tyrgar und Masamune nach vorne zu gehen. Der Häuptling sah enttäuscht aus.
„ Was sind das denn für Geschenke, Gromm?“ Er linste durch ein einzelnes Auge hervor.
„ Der große Mensch ist ein Waffenmeister.“ Kilmar grunzte stumm.
„ Der kleine Mensch ist ein Schmied.“ Kilmars Aufmerksamkeit war erneut geweckt.
„ Ein Schmied?“ Gromm nickte. Er hob dem Häuptling die grüne Klinge hin, die der Häuptling neugierig annahm und betrachtete.
„ Ein feines Werk.“ Murmelte er.
„ Hast du diese Klinge gemacht?“ fragte Kilmar. Masamune antwortete nicht.
„ Antworte dem Häuptling!“ fauchte Gromm.
„ J-ja, Häuptling. Ich habe sie selbst geschmiedet. Es ist eines meiner besten Werke.“ Der Häuptling grunzte.
„ Ein bisschen klein.“ Er nahm die Klinge zwischen die Zähne und pulte sich Speisereste aus den Zwischenräumen.
„ Kannst du damit kämpfen?“ Masamune nickte nervös.
„ Doch ich bin kein Vergleich zu Meister Tyronsson hier.“ Er deutete auf Tyrgar.
„ Er beherrscht die Waffenkunst besser als ich. Vielleicht sogar besser als Ihr.“ Tyrgars Augen wurden groß, entsetzt sah er Masamune an, der rot wurde.
„ Wie kannst du es wagen…“ zürnte Gromm. Der Häuptling lachte.
„ Eine starke Behauptung.“ Er steckte die Klinge wieder in die Scheide und gab sie seinem Leibwächter.
„ Stimmt das, Mensch?“ fragte er Tyrgar. Der schluckte und sah auf.
„ Ich war Soldat in der Armee und war einer der Besten. Nun komme ich, mein Wissen weiter zu geben. Ich habe gehört, dass Ihr Waffenmeister sucht. Deshalb bin ich hier.“ Der Häuptling musterte Tyrgar, als er einen neuen Schluck aus dem Pokal nahm.
„ Beantworte meine Frage. Bist du besser als ich? Oder Gromm hier?“ Tyrgar sah zu dem Eisenträger, der ihn durchdringend ansah.
„ Ich bin ein guter Kämpfer. Ob ich besser bin als Ihr oder Gromm, das weiß ich nicht. Ich habe noch nie mit Euch oder Gromm gekämpft.“ Der Häuptling deutete mit dem Finger auf ihn.
„ Eine gute Antwort. Nun, wir werden sehen. Ihr, Schmied!“ Masamune sah auf.
„ Testen wir eure Behauptungen. Schmiedet dem Waffenmeister eine Waffe und dann soll er gegen einen meiner besten Kämpfer antreten. Gewinnt er, so dürft ihr blieben. Verliert ihr…“ Er ließ den Satz unvollendet, nahm stattdessen ein Stück von dem Schwein neben ihm.
„ Ihr dürft gehen. Gromm, zeig ihnen ihre Unterkunft und die Schmiede. Sie sollen sich wie zuhause fühlen.“ Er lachte und wandte sich wieder seinem Leibwächter zu. Gromm verbeugte sich und nahm Tyrgar und Masamune unter den Armen.
„ Kommt mit.“ Sagte er leise und zerrte sie nach draußen. Er deutete ihnen, ihm zu folgen. Sie gingen vorbei an den Behausungen der Orks, auch an einer Taverne, wo sich die Krieger zu versammeln schienen. Es roch nach schlechtem Bier, Masamune deckte sich die Nase zu. Schließlich kamen sie zu einem alten Steinhaus, aus dem dunkler Rauch aufstieg. Über dem Eingang war ein Hammer und ein Amboss aufgehängt, was sie als Schmiede auszeichnete. Masamunes Herz schlug höher. Gromm öffnete die Türe und ein grimmig aussehender, schwarzer Ork starrte ihnen entgegen. Er hatte Arme wie Baumstämme und einen abgebrochenen Hauer. Er grunzte tief. Gromm starrte ihn an.
„ Schmied Hognar. Dies sind deine neuen Mitbewohner. Der kleine Mensch hier ist ebenfalls Schmied. Vielleicht kannst du ja was von ihm lernen.“ Gromm lachte, dann drehte er sich um und ging. Hognar betrachtete die beiden Menschen, dann deutete er ihnen einzutreten. Masamune fühlte sich sofort wie zuhause. Es war dunkel und staubig und es stank, doch für Masamune war es das Paradies. Nun war es an Tyrgar, sich die Nase zuzuhalten. Hognar sah den beiden hinterher, dann schloss er wortlos die Türe. Masamune saß vor der Esse und hielt seine Hand über das Feuer. Seine Wärme war ihm wie die Strahlen der Sonne. Hognar schnaubte.
„ Bett.“ Sagte er kurz und tief, während er mit einem dicken, schwieligen Finger nach oben deutete. Dann ging er zu seinem Amboss, auf dem ein klobiges Schwert lag und begann laut zu hämmern. Tyrgar ging zum Fenster und öffnete es, Masamune hingegen ging näher an den Amboss heran, die Schläge auf das Metall waren Engelsgesänge für ihn.
„ Was kuckst du?“ fragte Hognar knapp.
„ Ein beeindruckendes Schwert. Eisen?“ Hognar schnaufte zustimmend und senkte das Schwert in das Kühlwasser. Es zischte und Masamune grinste breit. Er begann, Hognar auszufragen, der antwortete immer knapp mit „Ja“ oder einem Knurren für nein. Tyrgar beobachtete die zwei eingehend.
Der Ork war wahrlich geduldig, so dauerte es bis die Sonne unterging, dass Hognar sich alle Fragen von Masamune angehört hatte und nun mit einem kurzen „Schlafen“ verkündete, dass er zu Bett gehen würde. Masamune sah dem Ork hinterher, wie er nach oben schlurfte, dann nahm er seinen Schmiedebeutel und holte seine Materialien heraus. Tyrgar war inzwischen eingeschlafen, doch davon ließ sich Masamune nicht aufhalten. Er nahm ein Buch heraus und begann zu lesen. Wenig später hämmerte es laut in der Schmied und hörte erst in den Morgenstunden wieder auf, als die Sonne aufging. Tyrgar erwachte mit den Strahlen der Sonne, er fand Masamune eingeschlafen vor der Esse. Vor ihm lag ein Bündel in Leder eingebunden. Das Zittern war wieder da und instinktiv griff er sich an den Gürtel. Seine Kürbisflasche war fort. Er sah sich nervös um, erst bei genauem hinsehen konnte er die Flasche unter dem Lederbündel hervorlugen sehen. Er schnaufte und griff nach der Flasche, wobei er das Bündel öffnete. Hervor kam ein langes, gewelltes Schwert, es glitzerte lila und ein Strich ging von der Spitze hinab zum Schaft, beinahe die Flugbahn eines fallendes Blattes. Daran musste Masamune die ganze Nacht gearbeitet haben. Er sah sich den Bihänder an, er war leicht aber stabil. Er nahm einen tiefen Schluck aus seiner Flasche. Er fühlte sich wieder stark. Es klopfte an der Tür und Gromm stand davor.
„ Ich bin hier im Auftrag des Häuptlings.“
Tyrgar grinste, auf seinen Schultern die Klinge des Bihänders.
„ Sagt ihm, ich bin bereit für den Kampf. Er schloss die Türe hinter sich und folgte Gromm nach.
Masamune wachte er später am Tag auf. Hognar war wieder an seinem Amboss, dieses Mal lag das Blatt einer Axt darauf. Er sah sich um.
„ Wo ist Tyrgar?“
„ Draußen.“ Sagte Hognar knapp. Masamune seufzte. Er stützte sich auf dem Leder ab. Es war leer.
„ Wo..?“ fragte er sich gerade, als von draußen Geschrei tobte. Er rannte zum Fenster und sah eine Menge, die jemanden auf ihren Schultern trugen. Es war Tyrgar und sein Gesicht war blutverschmiert. Bei genauerem Betrachten hatte er auch ein blaues Auge und seine Kleidung war zerfetzt. Masamune ging zur Tür, hinter ihm Hognar. Tyrgar grinste breit, als ihn die Menge vor der Tür absetzte und ihm zujubelte.
„ Champion! Champion!“ riefen sie. Tyrgar grinste, hob die Hand, dann fiel er hin, Hognar verhinderte, dass er mit dem Rücken zu Boden fiel. Tyrgar sah zu Masamune.
„ Ich habe gewonnen!“ Er deutete auf den Bihänder, den er vor sich hin hielt.
„ Was für eine Klinge.“ Sagte er. Die Menge jubelte noch einmal, dann löste sie sich auf. Masamune fiel auf, dass etwas an Tyrgars Brust hing. Ein eisernes Abzeichen, mit einem Schwert darauf.
„ Was heißt das?“ fragte er.
„ Waffenmeister.“ Sagte Hognar kurz. Masamune grinste. Sie hatten es geschafft. Tyrgar versuchte aufzustehen, musste sich aber auf das Schwert aufstützen. In der Schmiede setze ihn Masamune auf die Bank. Hognar brachte Wasser und Brot. Tyrgar sah auf die Klinge. Sie war sauber und nur ein paar Schrammen waren darauf zu erkennen.
„ Eine wunderbare Waffe.“ Sagte Tyrgar. Er wollte sie Masamune zurückgeben, doch der lehnte ab.
„ Sie gehört dir. Immerhin hast du mit ihr uns den Hals hier gerettet.“ Tyrgar sah Masamune ruhig an. Dann griff er an seinen Gürtel und hielt ihm seine Flasche entgegen.
„ Hier.“ Sagte er. Masamune wehrte ab.
„ Nein, das kann ich nicht.“ Tyrgar drückte sie Masamune in die Arme.
„ Nimm sie. Sie gehört dir.“ Masamune grinste.
„ Name.“ Sagte Hognar tief und brummend.
„ Was?“ fragte Masamune verdutzt.
„ Name.“ Sagte Hognar erneut und deutete mit seinem Schmiedehammer auf das Schwert.
„ Ah.“ Masamune sah hinaus zum Fenster.
Ein kühler Wind wehte und trug die Blätter vor sich hin und her. Ein einzelnes Blatt an einem Baum wehrte sich noch, dann schließlich fiel es hinab, schwankend hin und her, wenn der Wind kam, wehte es hinauf, wellenartig, wie die Klinge. Masamune grinste.
„ Zitterndes Blatt.“ Sagte er kurz. Tyrgar sah ihn unverständlich an.
„ Dummer Name.“ Sagte Hognar kurz. Masamune musste lachen.

8. Geschichte: Gefrorene Flamme
„ Wach auf, Pallas.“ Eine Stimme reißt mich aus meinem Traum. Ich bin geflogen, wie ein Adler über die Berge und die Stadt, durch die Wolken und vorbei an Gänsen.
„ Wach auf!“ Die Stimme ist lauter geworden und es folgt eine unsanfte Berührung, gefolgt von einem Stoß, der mich aus dem Bett wirft. Ich stoße mir den Kopf am harten Steinboden an. Ich reibe mir den Kopf.
„ Ich bin wach, ich bin wach.“ Stöhne ich empört. Ich blicke in die tiefen, braunen Augen meines Bruders Doron. Er scheint verärgert. Seine rötlichen Schuppen glänzen, normalerweise ein schlechtes Zeichen. Ich richte mich rasch auf. Selbst im Sitzen ist mein Bruder, ein Drakonier mit mächtigen Zähnen noch immer größer als ich. Er trägt seine Lederrüstung mit seinem Krummschwert und dem gewellten Dolch, beides Geschenke unseres Vaters. Wo war er nur? Sein Bett war leer. War er schon unten in seiner Esse?
„ Wo ist Vater?“ frage ich ihn. Doron sieht zur Seite und schnauft. Er stemmt die Klauenhände auf seine Schenkel und steht auf. Er ist eine beeindruckende Gestalt. Zwei Köpfe größer als, mit Muskeln und scheinbar unendlich langen Armen, die an seiner Seite herunterhängen.
„ Rate mal.“ Sagt er trocken. Mit leisem Tritt geht er in Richtung Treppe nach unten.
„ Ich… verstehe.“ Sage ich leise. Langsam folge ich ihm hinab. Die Sonne steht schon länger am Himmel, draußen ist das Leben voll im Gange. Ich kann das Reden von Leuten hören, das Knarren von Wägen, die über die steinige Strassen fahren und das Schreien der Marktleute. Über der Feuerstelle hängt ein Topf an einer Kette. Ich hebe den Deckel an. Suppe von gestern. Ich verziehe das Gesicht und schließe den Topf wieder. Doron sitzt am Tisch, ein halbes Brot und ein Stück Fleisch vor ihm auf seinem Teller. Ich schlurfe an den Tisch und setze mich neben ihn. Er gibt mir das andere Stück Brot, reißt ein Stück von seinem Fleisch ab und gibt es mir. Ich nehme dankend an.
Wir sitzen für eine Weile schweigend da, während wir essen. Es musste nun Mittag sein, die Stadtglocken spielten ihr Lied, eine einfache Melodie, jedoch so beliebt bei den Bürgern, dass der Rat der Stadt einstimmig beschloss, sie jeden Tag zur Mittagszeit zu spielen. Doron zuckte zusammen. Drakonier haben ein empfindliches Gehör und eine noch empfindlichere Nase. Wie er den Gestank der Gerberei unten am Ende der Strasse ertragen konnte, war mir immer noch ein Rätsel.
„ Was glaubst du, wo er ist?“ frage ich zwischen zwei Bissen. Doron starrt ausdruckslos auf seinen leeren Teller.
„ Keine Ahnung. Wahrscheinlich im „Goldenen Hammer.“ Oder im „ Hirschkopf“. Oder im „Holzkäfer“.“ Ich sehe auf meinen Teller. Das waren alles keine besonders… gesitteten Wirtshäuser. Doron steht auf.
„ Iss auf. Wir müssen den Laden öffnen.“ Langsam geht er zur Türe, schiebt die schweren Riegel zur Seite und die Sonne scheint blendend hell in die Schmiede herein. Ich esse schnell den Rest auf und mache mich daran, aufzuräumen. Vater hinterlässt immer einen Schweinestall, Asche liegt herum, seine Werkzeuge, restliche Metalle, seine Kürbisflasche, die immer voll ist. Doron hat das Schild draußen aufgehängt, der Laden ist jetzt offiziell eröffnet. Einige Kunden stehen bereits vor der Türe. Da ist der Schneider, der seine Scheren bei uns schärfen lässt; er ist heute der erste. Er sieht Doron, einen ganzen Kopf größer als er mit einer Mischung aus Verachtung und Furcht an. Wie eigentlich jeder hier. Drakonier waren nicht gerne gesehen. Ähnlich wie Orks oder Tigraner. Bei den Orks konnte ich es verstehen, aber Tigraner? Zwerge und Elfen wiederrum liebten sie. Konnten ihre Dienste gar nicht oft genug in Anspruch nehmen. Wäre Vater nicht so begabt und hätte… kundenfreundliche Preise, niemand würde die kleine Schmiede auch nur eines Blickes würdigen. Doron sieht den Schneider an, der legt ein Papier auf den Tresen. Doron geht nach hinten und holt ein in Leder eingewickeltes Paket hervor. Vater hatte die Scheren noch letzte Nacht geschliffen, kurz bevor er auf einen „Spaziergang“ gegangen war. Der Schneider legte ein paar Münzen hin und ging, ohne sich zu verabschieden.
„ He, Pallas.“ Raunzt mich Doron an.
„ Starr nicht so herum. Beweg deinen faulen Hintern und putz den Boden.“ Ich blinzle kurz, nehme mir dann den Besen und fege den Boden. Der sonst graue Steinboden ist schwarz von all der Asche von der Esse, die nur noch leicht vor sich hin glüht. Ich beeile mich, es stehen bereits wieder fünf Kunden und wollen Aufträge abgeben oder ihre Sachen holen. Der nächste ist ein Soldat, der sein Schwert und seinen Dolch wiederhaben will. Doron sieht ihn an, der Zettel liegt bereits vor ihm auf dem Tresen.
„ Beeil dich, Drakonier.“ Sagt der Mann scharf. Doron dreht sich um und geht zum Lager.
„ Aber fass nichts mit deinen dreckigen Klauen an. Ich werde heute befördert.“ Doron kommt wenig später zurück, die Waffen sind in Leder eingewickelt. Hastig nimmt sich der Soldat die Waffen, inspiziert sie eindrücklich. Nach seinem Blick suchte er nach Fehlern, die er Doron dann ins Gesicht werfen konnte. Der Soldat ist anderthalb Köpfe kleiner als mein Bruder, er hätte ihn zum Mittagessen verspeist. Der prüfende Blick findet nichts, so zieht er, beinahe enttäuscht wirkend das Geld hervor und wirft es so hart auf den Tresen, dass Doron sich bücken muss um es aufzuheben. Grußlos geht der Soldat, nicht aber ohne noch ein letztes Mal „Echsenschädel“ zu flüstern. Doron ignoriert ihn und verstaut das Geld in der Kasse unter dem Tresen. Wie er so ruhig bleiben kann, wenn er so angegangen wird ist mir ein Rätsel. Wenn mir das jemand so sagen würde, ich… ich… Unmerklich werde ich rot.
Die Glocken schlagen fünfmal, es ist Zeit den Laden zu schließen. Die Schmiede ist sauber, neue Aufträge sind aufgenommen und alte ausgegeben. Doron holt das Schild herein und wischt den Tresen. Ich verräume die neuen Aufträge, Schwerter zum Schleifen und Dolche zum Schärfen. Vater ist noch nicht wieder da. Ich fange an mir Sorgen zu machen. Normalerweise ist er eigentlich nach dem fünften Glockenschlag wieder da. Doch er ist nicht zu sehen. Doron erscheint unberührt. Er zählt das Geld und macht Notizen.
„ Was denkst du, ob ihm etwas passiert ist?“ frage ich Doron zwischen zwei Besenwischen.
„ Keine Ahnung“, lautet die knappe Antwort.
„ Sollten wir ihn nicht suchen gehen?“ Als Antwort kommt nur ein leises Knurren. Es dauert einige Minuten, dann ist Doron fertig.
„ 30 Goldtaler und 56 Silbertaler. Paar Kupfertaler“ Das war nicht schlecht. Vater könnte mehr verlangen. Doch er tut es nicht. Doron setzt sich an den Tisch und beginnt, das Abendessen zu essen. Ich setze mich neben ihn.
„ Ob er wohl in einem Graben liegt?“ Doron antwortet nicht. Wäre nicht das erste Mal. Vor wenigen Wochen war hier die große Hochzeit von Malin, hier haben wir Vater auch in einem Graben liegend gefunden. Doron isst schnell. Ebenso schnell steht er auf.
„ Hol den Wachgolem.“ Sagt er kurz.
„ Aber ich bin noch nicht…“
„ Jetzt.“ Sagt er noch kürzer und schärfer. Ich sehe ihn an, Dorons Augen sind unnachgiebig. Ich schiebe mir schnell ein Stück Brot in den Mund und laufe los. In der Ecke, unter einem staubigen Tuch steht eine etwa mannshohe Figur aus Erde. Sie sieht aus wie ein Elf und hat zwei Schwerter. Vater sagte, dass der Golem wie jemand aussehe, den er sehr bewunderte, aber auch irgendwo verachtete. Das verstehe ich nicht, damals wie heute. Musste ich wohl auch nicht. Ich klopfe den Golem ab, Siegel leuchten auf und der Golem dreht seinen Kopf. Ich stelle ihn in die Mitte des Raumes. Doron kommt und berührt die Siegel in einer bestimmten Reihenfolge. Die Augen des Golems beginnen zu leuchten. Nun wird er die Schmiede bewachen und jeden Eindringling attackieren, der nicht hierher gehört. Wie das genau funktioniert, verrät mir Vater nicht.
„ Dazu bist du noch zu grün hinter deinen spitzen Ohren.“ Sagt er immer und lächelt.
„ Komm, Pallas.“ Sagt Doron befehlend. In seinen Händen klimpern die schweren Schlüssel, mit denen er die Türe zur Schmiede abschließt. Die Sonne geht bereits unter, als wir uns auf den Weg in Richtung Zwergenviertel machen, an deren Rändern die berüchtigten Kneipen sind. Leise gehen wir über die gepflasterten Strassen, nur noch wenige Karren fahren und es wird langsam leise. Hin und wieder kann ich noch Fahnen und Wimpel in den Fenstern von der Hochzeit des Weißen Königs sehen, wie ihn inzwischen alle nennen. Sein Bruder, Xorroth, der Schwarze König und er haben sich in die Haare bekommen und reden nicht mehr miteinander. Manche reden bereits von einem Bürgerkrieg, andere von einem Krieg, der den ganzen Kontinent in Aufruhr versetzen und erfassen wird. Inzwischen sind wir am „Hirschkopf“ angekommen. Der Hirschkopf über dem Eingang ist nicht mehr der jüngste, er scheint schon zu faulen, was aber niemand zu stören scheint. Ein paar Gäste kommen heraus und sofort bekommt Doron böse Blicke. Er ignoriert sie und stößt mit seinen langen Armen die Türe auf. Es stinkt nach Rauch und nach Bier und anderen Dingen, die ich nicht erkennen kann.
Und vermutlich nicht will. Doron deutet mir, am Eingang zu bleiben, während er den Wirt nach Vater fragt. So bleibe ich. Ich sehe eine Menge Handwerker hier, einige sind Kunden von Vater, auch einige Soldaten des Königs sind hier. Doron ist an der Theke. Der Wirt sieht ihn zunächst nicht an. Doron ist hartnäckig und ich sehe den Wirt den Kopf schütteln. Doron legt die Faust auf den Tresen und geht zurück.
„ He. He du, Echsenschädel.“ Schallt es aus der Ecke. Ein Mann ist aufgestanden, der Dolch an seinem Gürtel verrät ihn als Soldaten ausser Dienst. Es ist derselbe Soldat, der heute Mittag da war, um seine Waffen zu holen.
„ Wir mögen deinesgleichen hier nicht.“ Doron ignoriert ihn.
„ He, Salamanderfresse, ich rede mit dir.“
„ Dein Wissen um Tiere ist beeindruckend. In letzter Zeit ein gutes Buch gegessen?“ kommt die schnippische Antwort. Der Raum ist ruhig geworden. Der Soldat wird rot.
„ Mach, dass du raus kommst.“
„ Hatte ich vor.“ Antwortet Doron kurz, dann steht er neben mir und deutet mir, dass wir gehen.
„ Ja, mach schnell. Bevor noch was passiert.“ Ruft der Mann noch hinterher. Ich kann ihn grade noch Wörter wie „unglaublich“ und „ Malin lässt jeden rein“ sagen hören. Doron ist nichts anzumerken. Ich koche innerlich. Wie können sie ihm das antun? Er hat ihnen nichts getan. Ich verstehe, dass das Weiße Reich im Konflikt mit den Drakoniern stand und viele Soldaten gestorben waren, doch das gab ihnen trotzdem nicht das Recht, so mit Doron umzugehen. Doron packt mich am Arm.
„ Komm schon. Gehen wir weiter.“ Die nächste Kneipe ist der „Holzkäfer“, eine noch schäbigere Abstiege as der „Hirschkopf“. Hier weigern sich sogar die Ratten zu bleiben, der Gerber unten an der Strasse hat mir erzählt, er habe zwei Ratten mit kleinen Säckchen gesehen, die angewidert aus der Türe gegangen waren. Ich musste schmunzeln. Doron zieht mich durch stinkende Gassen, hin und wieder liegt neben uns ein Penner, es riecht nach schlechtem Wein und anderen Dingen, die ich gar nicht wissen will. Das schwummrige Licht vom „Holzkäfer“ scheint uns entgegen. Ich entziehe mich Dorons Griff. Gesprächslärm dringt aus den undichten Fenstern. Doron sieht zu mir hinab.
„ Also gut, gehen wir hinein. Bleib bei mir. Der Hirschkopf ist schon schlimm, aber das hier…“ Ich schnaufe. Einatmen traue ich mich fast nicht.
„ Es riecht, als wär hier jemand gestorben.“ Doron sieht sich um.
„ Halt dir die Nase zu.“ Ein guter Ratschlag. Doron geht zur Türe. Ich höre Schnarchen. Ein vertrautes Schnarchen.
„ Doron, warte.“ Doron steigt von den Steintreppen herab.
„ Hörst du das?“ Doron horcht.
„ Nein.“
„ Ich kenne das Schnarchen. Komm mit.“ Doron verdreht die Augen.
„ Pallas, ich…“ Ich laufe los, vorbei an der Front der Kneipe. Ich stolpere beinahe über einen betrunkenen Gast, der seinen Rausch ausschläft. Doron folgt mir nach. In der dunklen Ecke der Seite der Kneipe wird das Schnarchen lauter.
„ Pallas, jetzt…“ Ich hebe einen Finger.
„ Da.“ Ich deute zu einem Schweinetrog. Wir blicken hinein und tatsächlich schläft Vater darin seelenruhig. Er hat einen leeren Krug in seiner Hand, Speichel läuft seinen Mund hinab. Doron schnauft.
„ Wach auf, Vater.“ Er stößt ihn mit seinen Krallen an, doch Vater dreht sich nur etwas. Doron schnauft erneut.
„ Pallas, geh zur Seite.“ Ich gehe zur Seite, während Doron den Trog greift und ihn mit einem Ruck umwirft. Vater fällt heraus und ist urplötzlich wach.
„ Was, wer…?“
„ Steh auf, alter Mann.“ Sagt Doron kalt.
„ Doron, bist das du?“ Doron schnauft.
„ Ich, ich bin wach.“
„Schön.“ Mit einem Ruck zieht Doron Vater nach oben.
„ Pallas, hilf ihm.“ Ich nehme Vater unter dem Arm.
„ Oh, Pallas, du bist auch hier.“ Ich verziehe den Mund, während wir Vater zur Schmiede zurücktragen. Der Weg erscheint uns eine halbe Ewigkeit, doch wir schaffen es. Der Wachgolem blickt zu uns mit seinen leeren Augen. Doron legt Vater ins Bett und will gerade gehen.
„ Hast du deine Zeche bezahlt, alter Mann?“ Masamune lächelt schräg, schielt zu Doron und schläft ein. Doron schnauft genervt.
„ Höchstwahrscheinlich nicht. Pallas, bleib bei Vater, ich gehe noch einmal zurück.“ Damit stürmt Doron aus der Schmiede und knallt die Tür hinter sich zu. Ich sehe Vater beim Schlafen zu. Was denkt er sich nur immer? Seine Söhne einfach zurückzulassen. Ich schüttele den Kopf und gehe hinab zur Schmiede. Doron hat einen Teil der Einnahmen mitgenommen. Ich bemerke sein Schwert auf der Bank. Er hat es liegen lassen.
Ich weiß nicht, was mich dazu brachte, doch ich nahm sein Schwert, viel zu schwer für mich und schnallte es mir auf den Rücken. Beinahe gedankenlos nahm ich mir den weiß schimmernden Speerkopf von Vaters neuestem Werk. Es war beinahe durchsichtig, doch durchzogen von rötlichen, gezackten Farbkleksen. Vater nannte es „Gefrorene Flamme“. Ein passender Name. Ich nehme Gefrorene Flamme und stecke sie mir an den Gürtel.
Zunächst erschien es noch eine gute Idee. Doch je tiefer ich in die Abgründe der Stadt tauchte, desto unsicherer werde ich mir. Doron war ein Drakonier, auch sehr gut in der Lage, sich ohne Waffe zu verteidigen. Es geht schnell, schneller als ich je von mir erwartet hätte stehe ich vor der Kneipe. Es stinkt noch immer. Nichts neues.
Was neu ist, ist der Lärm. Etwas ging vor sich. Ich atme tief ein und mache die Tür auf. Eine Traube hat sich gebildet. Ich drängle mich durch die kleine Menge. Ich sehe fünf Soldaten, darunter die unverkennbare Uniform eines Offiziers
„ Was sagst du jetzt, Ungeziefer?“ Die höhnische Stimme dringt unverwechselbar zu mir durch. Ich dränge mich weiter durch. Ein Schlag landete irgendwo.
„ Komm schon, Untier. Tu was.“ Ich schaffe es zum Kreis. Zu meinem Entsetzen sehe ich Doron, umkreist von den fünf Soldaten. Er blutet im Gesicht, zwei der Soldaten haben bereits Messer gezogen und nach ihm gestochen. Ich kann Schrammen sehen, keine wirklich gefährliche Verletzung. Bisher.
Ich stehe am Rand des Kreises, Doron hat mich nicht gesehen. Einer der Soldaten sieht mich.
„ He, ist das nicht der kleine Bruder von der Salamanderfresse?“ Der Soldat packt mich am Arm.
„ He, lass los!“ Schreie ich. Ein zweiter kommt dazu und findet Gefrorene Flamme an meinem Gürtel.
„ Netter Dolch.“ Sagt er und entreißt sie mir. Doron sieht zu mir, seine Augen weit offen. Er fährt seine Krallen aus, dann kreischt er, wie ein Nagel über eine Tafel. Sofort sind drei Soldaten auf ihm, halten ihn fest, Doron wehrt sich, doch die drei sind stärker. Der Soldat wirft mich zu Boden und geht mit Gefrorene Flamme auf Doron los. Ich kann nur noch mitansehen, wie zwei ihn am Boden halten, während sich der Offizier über ihn stellt und ihm Gefrorene Flamme in die Brust stößt.
Das letzte was ich sehe, ist mein Bruder, durchbohrt von Gefrorene Flamme, Blut in seinem Mund. Er versucht zu sprechen, doch keine Worte kommen aus seinem Mund.
Oder meinem.
Das letzte was ich höre ist ein unnatürlicher Schrei aus meinem Mund.
Danach; Leere.
Ich wache langsam auf, es ist weich unter mir. Es ist Tag, die Sonne steht hell am Himmel. Sie blendet mich. Ich hebe meine Hand gegen die Sonne. Ich erschrecke. Sie ist voller Blut. Was ist passiert?
„ Bleib liegen.“ Ertönt eine vertraute Stimme hinter mir. Ich will mich drehen, doch jede Bewegung schmerzt. Erst jetzt bemerke ich, dass wir uns bewegen. Es rumpelt bei jedem Meter. Ich sehe mich um, ich bin auf einem Karren.
„ Was, was ist passiert?“ Ich will mich aufrichten, doch eine Hand hält mich zurück.
„ Bleib liegen.“ Die Stimme meines Vaters erscheint besorgt.
„ Woher kommt das Blut? Wo, wo ist Doron? Was ist passiert?“ Mein Vater antwortet nicht. Er sieht mich nur an, deutet dem Fahrer des Wagens zu halten. Dann blickt er zur Seite. Ich hebe meinen Kopf leicht. Eine große Menschenmenge hat sich angehäuft, Stadtwachen tragen… etwas mit weißen Leintüchern weg. Ich verstehe nicht. Bei einem der Tragen fällt etwas heraus. Eine blutüberströmte Hand, mit einem bronzenen Ring. Ich kenne diesen Ring!
„ Ist, ist das…?“ Mein Vater hält seine Hand auf meine Brust.
„ Ein Offizier der Stadtwache, ja.“ Entsetzen durchzieht meinen Körper.
„ Ich, ich habe ihn noch gesehen, in der Nacht. Ich, ich kann mich an nichts mehr erinnern…“ Ich halte meinen Kopf. Vater deutet dem Fahrer weiter zu fahren. Sie tragen einen weiteren Körper davon. Größer als alle anderen. Ich sehe zwei Männer in Offiziersuniformen diskutieren. Einer von ihnen zieht das Leintuch ab. Es ist Doron.
„ DORON!“ schreie ich. Es ist beinahe ein Reflex. Tränen fließen aus meinen Augen, ich will weiter schreien, doch Vater hält meinen Mund zu.
„ Sssssch.“ Flüstert er.
Langsam fahren wir ausserhalb der Reichweite der Menge. Ich kann fast nichts mehr sehen, langsam verliere ich das Bewusstsein, alles wird schwarz…
Ich wache auf in meinem Bett in der Schmiede. Alles schmerzt, mein Kopf dröhnt. Ich sehe kaum etwas, nur langsam kommt meine Sicht zurück. Neben meinem Bett steht ein Krug und ein Becher. Ich sehe hinein und probiere. Noch nie hat Wasser so gut geschmeckt. Ich setze mich an den Rand des Bettes. Meine Muskeln schmerzen, ich bemerke die Bandage um meinen Bauch. Was ist passiert? Ich versuche aufzustehen, doch falle wieder ins Bett zurück. Ich stütze mich am Nachttisch ab und versuche es erneut. Die ersten Schritte fallen schwer, doch ich kann mich bewegen. Ich gehe Richtung der Treppe. Ich höre Stimmen von unten. Ich komme näher, bis ich die Stimme meines Vaters eindeutig erkennen kann. Die andere Stimme kann ich nicht erkennen. Langsam kann ich einige Gesprächsfetzen hören.
„ Dringend“, „ Rekrutierung“, „ sicher“. Ich stolpere weiter meinen Weg zur Treppe. Ich versuche zu sprechen, doch es kommt nur ein Krächzen aus meinen Lungen. Ich greife nach dem Geländer.
„ Es ist mir egal, was die Bestimmungen sagen!“ Vater ist wütend.
„ Ich verstehe Euer Leid, Meister Masamune, doch…“ Ein Schlag auf Holz unterbricht die sanfte Stimme seines Gegenübers. Ich gehe langsam weiter. An der Kante der Wand spähe ich ein wenig in das Esszimmer der Schmiede. Ich kann neben Vater zwei weitere Personen ausmachen. Ein wohlgekleideter Mann in einer Robe, auf der ein mit Gold besticktes Symbol zu erkennen ist. Ein weiterer steht etwas hinter ihm. Er trägt eine Rüstung, ein Schwert baumelt an seinem Gürtel und er hält einen Helm in der rechten Hand. Auf der Rüstung ist dasselbe Symbol wie auf der Robe. Beide haben ihre langen blonden Haare zu einem Zopf gebunden. Erst jetzt fallen mir die spitzen Ohren auf. Elfen! Hochelfen sogar! Vater atmet tief ein.
„ Vergebt mir, Botschafter.“ Langsam setzt er sich wieder. Der Elf in der Robe lächelt milde.
„ Ich verstehe eure… Aufgeregtheit. Doch was ihr verlangt ist nicht so einfach. Der Heermeister ist nicht so leicht zu überzeugen. Normalerweise sucht er seine Kandidaten selbst auf.“ Vater schnauft.
„ Und selbst dann ist er sehr wählerisch. Es gibt keine Garantie, dass…“ Meine Hand rutscht vom Stein, gerade so kann ich mich abfangen. Alle drei sehen zu mir.
„ Pallas…“ höre ich Vater besorgt.
„ Vater, was…“ Der Botschafter deutet dem Soldaten und er kommt auf mich zu, hält mich unter den Armen fest. Vater sieht besorgt aus.
„ Bringt ihn hoch.“ Der Soldat sieht zum Botschafter und der nickt. Der Soldat hält mich fest und trägt mich langsam nach oben.
„ Alles wird gut, Pallas. Vertrau mir.“ Das ist das letzte, was ich höre. Der Soldat legt mich ins Bett und geht nach unten.
Die Sonne scheint in den Raum.
Was genau sie besprochen hatten weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass Vater mich wenige Tage später weckt. Meine Wunden schmerzen nur noch leicht. Langsam öffne ich die Augen. Helle, blaue Augen starren zurück. Ich will zurückweichen.
„ Bleib ganz ruhig, junger Mann.“ Eine freundliche Stimme durchdringt die Schmerzen in meinem Körper. Ein weiterer Elf sitzt an meinem Bett. Nein, eine Elfin. Auch sie trägt eine Robe, doch auf ihrer Robe ist ein anderes Symbol. Eines, das ich noch nie zuvor gesehen habe. Sie drückt mich sanft in das Bett zurück.
„ Wie sieht es aus?“ Vaters Stimme ist wieder da. Die Elfin steht auf. Erst jetzt erkenne ich, dass sie eine Tasche trägt, wie sie sonst nur die Doktoren tragen. War auch sie ein Doktor?
„ Es geht ihm schon besser. Ein, zwei Tage, dann wird er wieder voll laufen können. Größere, körperliche Anstrengung würde ich allerdings nicht empfehlen.“ Vater nickt ihr zu, dann erhebt sie sich und geht zur Treppe. Ich sehe mich um. Vater ist erneut nicht alleine. Wieder steht ein Elf neben ihm. Doch der ist… anders. Groß, ungewöhnlich groß, braune Haare und seltsame schwarze Augen. Er ist anders, er strömt eine unfassbare Macht aus. Noch habe ich so etwas gespürt. Die Augen beobachten mich. Etwas regt sich in mir, Furcht, Wut, Freude, ich weiß es nicht. Ich spüre das Blut durch meine Adern pumpen, der Atem geht schneller. Schließlich lässt der Elf ab und wendet sich meinem Vater zu. Ich falle zurück ins Bett, alles wird langsamer.
„ Und du bist sicher, dass du das willst?“ fragt der Elf mit seiner sonoren, ehrfurchtgebietenden Stimme. Vater sieht zu Boden, beschämt. Er nickt.
„ Ja. Es ist das Beste für ihn. Er ist alt genug.“ Veruna sieht zu Vater, dann zu mir. Er läuft zur Treppe.
„ Bereite ihn vor. Morgen werden zwei meiner Offiziere kommen und ihn abholen.“ Abholen? Was heißt das?
Vater antwortet nicht. Der große Elf verschwindet nach unten, ich kann noch das Schließen der Türe hören. Vater ist bedrückt.
„ Vater, was…“ Vater setzt sich zu mir ans Bett. Er lächelt, doch ich kann ganz klar Trauer in seinem Gesicht erkennen.
„ Was ist hier los? Wer war das? Was heißt das, „abholen“? Was ist mit Doron? Was, was ist passiert? Warum kann ich…“ Mein Herz schlägt schneller, mein Atem wird flach. Vater umfasst meinen Kopf mit seinen rauen Schmiedehänden.
„ So viele Fragen. Beruhig dich, leg dich hin. Ich werde es dir erklären.“ Ich lege meinen Kopf zurück. Vater holt einen Krug hervor, der neben ihm stand. Er greift nach meinem Becher und schenkt sich ein. Es ist Wein, ein unverkennbarer Geruch. Er leert den Becher in einem Satz. Er schenkt erneut ein und bietet mir etwas an. Ich nippe leicht. Ich konnte Wein noch nie ausstehen. Vater blickt mir in die Augen.
„ Wo soll ich anfangen? Nun, zuerst; Doron ist tot.“
„ Was?“
„ Dein Bruder ist tot.“ Ich lasse mich zurück ins Kopfkissen fallen. Dann war es also kein Traum, wie ich gehofft hatte.
„ Was ist passiert?“
„ Ich habe es nicht gesehen. Ein paar Leute haben es mir erzählt.“ Er nahm noch einen tiefen Schluck.
„ Sie berichten, dass du und Doron im „Holzkäfer“ waren und nach dem Wirt gesucht habt, um meine Schulden zu bezahlen. Gefunden habt ihr allerdings nur einen Offizier der Stadtwache, der Doron angeschrieen und bespuckt hat. Doron hat all das über sich ergehen lassen, nur als er mich und doch beleidigt hatte, wurde Doron ausfällig. Der Offizier und einige seiner Soldaten zogen Messer und ein Kampf begann. Du wolltest helfen, doch einer der Soldaten hat dich übermannt, dir die Klinge von Gefrorene Flamme entrissen und damit auf Doron eingestochen. Die anderen Klingen kamen kaum durch Dorons Haut, doch Gefrorene Flamme…“ Vater beginnt zu weinen. Noch nie zuvor habe ich ihn weinen sehen. Ich sehe ihn ungläubig an, bis es auch mich trifft. Ich weine, leise.
„ Doron war verblutet, bevor Hilfe kommen konnte. Doch du…“ Vater sah mich durchdringend an.
„ Was?!“
„ Sie sagen, du hättest die Kontrolle über dich verloren. Ein tiefer, tierähnlicher Schrei sei aus deinem Mund gekommen, deine Augen hätten gelb aufgeleuchtet und mit einem Mal wärst du wie ein wildes Tier umhergesprungen, hättest einen Dolch genommen und alle fünf Soldaten getötet. Noch mit deren und dem Blut deines Bruders wärst du über seiner Leiche gestanden, wolltest alle Helfer abwehren, bis du erneut das Bewusstsein verloren hast.“
Die Erzählung traf mich wie ein Schlag. All das Blut, Doron, der Schrei. Meine Hände zittern, mein Atem geht schnell.
„ Warum… kann ich mich an nichts erinnern?“ Ich fasse mir an den Kopf, ziehe die Knie an. Vater zieht mich zu sich. Er sieht zu Boden.
„ Ich weiß es nicht. Doch eins ist klar. Du kannst nicht hier bleiben.“ Ich sehe Vater entsetzt an.
„ Die Stadtwachen suchen nach dir. Wenn sie dich finden, werden sie dich vor Gericht bringen und hinrichten. Der Offizier stammt aus einem adligen und einflussreichen Haus, sie werden zusehen, dass du die Höchststrafe bekommst.“ Panik überkommt mich.
„ Doch das werde ich nicht zulassen. Pallas, sieh mich an. Sieh mich an!“ Ich blicke auf.
„ Veruna ist ein alter Freund. Er ist einer der größten Heermeister der Elfen mit einer eigenen Armee und eigenem Recht. Er wird dich aufnehmen und ausbilden. Bei ihm bist du sicher.“
„ A-aber dann…“ Vater lächelt.
„ Ja, dann werden wir uns wahrscheinlich für lange Zeit nicht mehr sehen.“ Ich falle Vater in die Arme.
„ Das kannst du nicht… Ich will nicht…“ Vater streichelt mir den Kopf.
„ Du musst stark sein, Sohn. Veruna wird dich beschützen.“
„ Nein…“ Vater nimmt meinen Kopf.
„ Wir werden uns wieder sehen. Das verspreche ich dir.“ Er greift neben das Bett und holt etwas Langes hervor. Es ist in ein dickes Fell gewickelt.
„ Nimm dieses Geschenk mit dir. Es wird dich immer daran erinnern wer du bist.“ Ich öffne das Fell. Blau und strahlend wie Eis leuchtet mir die Klinge entgegen, jene Klinge die Doron getötet hatte. Der Schaft, beinahe durchsichtig, mit feinen Verzierungen von rot leuchtenden Flammen.
„ Vater, ich…“ Vater nimmt meinen Kopf.
„ Ich werde nicht zulassen, dass sie dich holen oder deinen Bruder misshandeln.“ Seine Finger fahren über Gefrorene Flamme.
„Dieser Speer war als Waffe für Doron gedacht. Nun wird er dich schützen.“ Tränen fallen mein Gesicht herab.
„ Schlaf jetzt.“ Er nimmt mir Gefrorene Flamme ab.
„ Ich werde immer für dich da sein.“ Ich schließe die Augen und schlafe ein.
Langsam öffne ich meine Augen. Die Sonne geht gerade über den Hügeln vor unserem Lager auf. Ich erinnere mich an meinen Vater, meinen Bruder so lange nun ist es her.
Meine Nachtwache ist vorbei, ich kann meine Ablösung auf mich zukommen sehen. Ich stehe auf, strecke mich. Das Lagerfeuer vor mir ist schon seit geraumer Zeit ausgegangen. Ich nicke der Ablösung zu und schüttele den Kopf, als er mich fragt, ob es etwas Ungewöhnliches in der Nacht gab. Er löst mich offiziell ab und ich mache mich auf den Weg zurück in mein Mannschaftszelt. Ich kann noch immer die Stadt vor meinen Augen sehen, als ich sie in dem Karren mit den Elfen verlassen hatte. Ich konnte die Rauchsäulen sehen und das gewaltige Beben der Erde spüren, als der Turm der Stadtwache einstürzte. Wie ich später erfahren hatte, war dies nur ein Ablenkungsmanöver gewesen, denn während die Soldaten sich zu ihrem Turm begaben war jemand in die Leichenkammer der Stadt eingebrochen und hatte eine Leiche gestohlen. Ich muss lächeln.
Ob meine Kameraden schon das Frühstück gerichtet haben? Ich schultere Gefrorene Flamme und schlurfe los. Ich muss an all die Zeit denken, die ich nun schon hier bin. Von den harten ersten Jahren, in denen ich von meinem Vater trainiert wurde, von den schiefen Blicken der anderen Soldaten, als sie einen wesentlich jüngeren Soldaten als sie selbst sehen und ihm nun vertrauen müssen. Von den harten Lektionen, die ich vom Heerführer selbst bekommen habe.
In der Ferne sehe ich das große Zelt von Veruna. Unser Heerführer ist gerade aus seinem Zelt getreten und wird sich jetzt wohl mit seinen Offizieren beraten.
Ich atme tief ein.
Die Luft in den Bergen riecht nach frischen Wildblumen.
Die Morgensonne scheint rot durch Gefrorene Flamme.
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